Freitag, 1. Mai 2015

Genrekino aktuell (I.): Ein Triple-Feature mit Vampiren, Monstern und einem Stalker




Drei Genrefilme, die zurzeit im Kino zu sehen sind oder demnächst anlaufen, alle im weitesten Sinne dem Independent-Sektor zuzuordnen, alle mit starken Frauen vor und hinter der Kamera, aber doch ganz unterschiedlich in Haltung und Umsetzung: Ana Lily Amirpour entführt in „A Girl Walks Home Alone at Night“ in eine Geisterstadt, in dem eine wunderschöne Vampirin auf ihrem Skateboard die Nacht durchstreift; Jennifer Kent lässt in „The Babadook“ eine neue Kinderschreckfigur von der Kette und Rob Cohen versucht mit „The Boy Next Door“, Exploitationkino und Mainstream zu versöhnen. 

 

 

„A Girl Walks Home Alone at Night“ 

(USA 2014; R: Ana Lily Amirpour) 

 

Ein Vampirfilm, völlig aus der Zeit gefallen, ist „A Girl Walks Home Alone at Night“, mit dem die iranisch-US-amerikanische Regisseurin Ana Lily Amirpour ihr Langfilmdebüt vorlegt. Der in kontrastreichem Schwarzweiß, Breitwand und mit vielen expressiven Schattenspielen visuell ansprechend umgesetzte Film wurde auf einigen internationalen Festivals mit Preisen bedacht und bisweilen als „erster iranischer Vampirfilm“ bezeichnet. Letzteres stimmt natürlich nicht ganz, auch wenn „A Girl Walks Home Alone at Night“ in Farsi gedreht wurde und in einer heruntergekommenen Geisterstadt namens „Bad City“ spielt, die in Iran liegen soll, tatsächlich jedoch ein Puzzle aus Zeichen unterschiedlichster (Pop-)Kulturen ist, das in Kalifornien entstanden ist.

 

Auch sonst kommt hier einiges zusammen, das zuvor kaum gemeinsam in einem Film zu sehen war. Da gibt es mit Arash – gespielt von dem aus Hamburg stammenden Schauspieler Arash Marandi – etwa einen sensiblen „Rebel Without a Cause“, der mit seinem Ford Thunderbird direkt aus den US-Jugenddramen der 1950er-Jahre stammen könnte, einen aufgedrehten Gangster (Dominic Rains), der dem Frontmann der südafrikanischen Electroclash/Rap-Combo „Die Antwoord“ nachempfunden ist, sowie einen betörend schönen weiblichen Vampir im Tschador (Sheila Vand), der zuhause im Ringel-T-Shirt am liebsten zu Rock’n’Roll-Platten tanzt.

 

 

Das alles changiert irgendwo zwischen dem verschlurften Independent-Chic von Jim Jarmuschs Frühwerk, den erotisch aufgeladenen Filmclips Kenneth Angers und Abel Ferraras Independent Anti-Genrefilmen, nicht ohne Züge eines (feministisch eingefärbten) surrealistischen Traumspiels zu integrieren. Kurz: „A Girl Walks Home Alone at Night“ ist ein absolut ungewöhnlicher, sehr musikalischer, manchmal allerdings auch etwas sperriger Kultur-Mix, irgendwo zwischen Punk, Postmoderne und Arthaus-Kino. Sehr sehenswert, sicherlich aber nichts fürs große Publikum. (Seit 23. April 2015 im Kino.)




„The Babadook“

(„Der Babadook“; Australien 2014; R: Jennifer Kent)

 

Wie man den Schrecken höchst effektiv und zugleich ganz ökonomisch in Szene setzt, das demonstriert die Australierin Jennifer Kent in ihrem Spielfilmdebüt „Der Babadook“ mustergültig. Dabei gelingt es der Regisseurin, die diesen Stoff bereits in ihrem Kurzfilm „Monster“ (2005) aufgegriffen hatte, zugleich Genre-Erwartungen zu erfüllen und zu unterlaufen. Wie in den erfolgreichen Low-Budget-Horrorfilmen der letzten Jahre, etwa James Wans „Insidous“ (2010) und „The Conjuring“ („Conjuring – Die Heimsuchung“; 2013), verwandeln die sorgfältige Lichtsetzung und die präzise Breitwandkameraarbeit das Familienheim, in dem sich die Handlung überwiegend abspielt, in ein von düsteren Schattenspielen durchzogenes Labyrinth. Sounddesign und Montage schaffen Suspense, werden immer wieder auch für unerwartete Schockmomente genutzt. Auf Kunstblut und selbstzweckhafte Brutalität verzichtet die Filmemacherin jedoch. Stattdessen vertraut sie auf das naturalistische Spiel ihrer Darsteller, die psychologisch nuancierte Geschichte und eine sorgfältige Ausstattung, zu deren Höhepunkten das liebevoll gestaltete titelgebende Pop-up-Kinderbuch über den monströsen „Babadook“ zählt, dessen Name übrigens ein Anagramm aus „A bad book“ ist – ein böses Omen und Warnung an Publikum und Protagonisten gleichermaßen.

 

 

Das Ergebnis ist ein psychologischer Horrorfilm, der geschickt die Grenzen zwischen Realität, Wahnsinn und Aberglaube verwischt, neurotische Erwachsenenwelt und kindliche Fantasie zusammenbringt und darüber den ganz realen Schrecken des Alltags nie aus dem Blick verliert. Konsequent aus der Perspektive der von Essie Davis gespielten alleinerziehenden Mutter erzählt, zieht „Der Babadook“ dem Kinopublikum nach und nach den Boden unter den Füßen weg. Dabei wirkt Kents Film, der unter der Oberfläche eine sehr nachvollziehbare Geschichte von Trauma, Verlust und Trauer erzählt, mitunter wie ein Komplementärstück zu Lynne Ramsays Eltern-Horrorfilm „We Need to Talk About Kevin“ (2011) – wenn auch ohne dessen nihilistisch Grundhaltung.

 

 

„Der Babadook“ hat auf internationalen Festivals bereits mehr als 30 Auszeichnungen erhalten und höchstes Lob von Genre-Ikonen wie William Friedkin („The Exorcist“ / „Der Exorzist“; 1973) und Stephen King erhalten. Man muss dem kleinen Verleih „Capelight“ sehr dankbar sein, dass er diese Genreperle aus „Down Under“ auch zu uns ins Kino bringt. (Ab 7. Mai 2015 im Kino.)



 

„The Boy Next Door“

(USA 2015; R: Rob Cohen)

 

Eine Phantasie, der Wunschtraum einer alleinerziehenden Mutter (Jennifer Lopez) und ihres Teenager-Sohns (Ian Nelson): Im Haus nebenan zieht ein 20-Jähriger ein (Ryan Guzman), der nicht nur gute Manieren besitzt, der Mutter bald im Haushalt zur Hand geht, dem Sohn zum väterlichen Freund wird und zu neuem Selbstbewusstsein verhilft, nein: Er sieht auch noch verdammt gut aus und hat offenbar eine Vorliebe für ältere Frauen. Doch der Traum wird schnell zum Alptraum, als der nette Nachbar nach einem One-Night-Stand mit der Mutter zum psychotischen Stalker mutiert, der von nun an seine Nachbarn terrorisiert. Das ist eine solide Prämisse für einen kleinen, gemeinen Psychothriller, der sich an bewährten Mustern à la „Fatal Attraction“ („Eine verhängnisvolle Affäre“; 1987; R: Adrian Lyne) abarbeiten könnte, womöglich mit der weiblichen Protagonistin im Zentrum zur feministischen Genrevariante gewendet.

 

 

„The Boy Next Door“ jedoch löst keines dieser Versprechen ein. Mehr noch: Regisseur Rob Cohen, bekannt für den ersten Teil des ungemein erfolgreichen „The Fast and the Furious“-Franchise (2001ff.), gelingt es, das mit Pop-Diva Jennifer Lopez immerhin prominent besetzte Thriller-Stück gründlich in den Sand zu setzen. Wahrlich hirnverbrannte Dialoge, die bestenfalls unfreiwillig komisch sind, die schmierige Atmosphäre eines Softpornos und Plot-Twists, die selbst der unbedarfteste Zuschauer voraussieht, ergeben zusammen mit der uninspirierten Montage, die die atmosphärischen Bilder von Kameramann David McFarland desavouiert, eine leidlich spannende Mischung. Für die Herren im Publikum lässt Regisseur Cohen „J.Lo.“ bevorzugt im Negligé posieren; die Kamera, auf Hautporengröße herangerückt, scheint den halbnackt dargebotenen Körper geradezu ablecken zu wollen, wenn sie ihn wieder und wieder abschwenkt und ausstellt. Die abgedroschene puritanische Moral des Genres – der Seitensprung wird folgerichtig bestraft, am Ende konstituiert sich die Kernfamilie neu im Kampf gegen die erotische Verlockung – ist sowieso ein Ärgernis. Das Genre war da schon viel weiter. Nicht einmal als verunglückte Parodie funktioniert das Ganze.

 

Umberto Eco, der italienische Literaturwissenschaftler, Bestsellerautor und passionierte Kinogänger, schrieb einst über den Humphrey-Bogart-Klassiker „Casablanca“ (1942; R: Michael Curtiz), dass zwei Klischees in einem Film lächerlich seien, hunderte dagegen ergreifend. „The Boy Next Door“ beweist das Gegenteil und belegt nachdrücklich, dass ein Film, der jedes auch noch so abgedroschene Klischee hemmungslos ausstellt, manchmal, ganz banal, einfach nur ein schlechter Film ist. (Seit 19. März 2015 im Kino.)

 

Die jeweiligen Rezensionen sind zuerst erschienen auf www.br.de

 

A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT (USA 2014)

Regie: Ana Lily Amirpour; Drehbuch: Ana Lily Amirpour; Produktion: Sina Sayyah, Justin Begnaud, Ana Lily Amirpour, Sheri Davani u.a.; Kamera: Lyle Vincent; Schnitt: Alex O'Flinn; Verleih: Capelight (Central); Kinostart (D): 23.04.2015; FSK: ab 12 Jahren; Länge: 100 Min.; Besetzung: Sheila Vand, Arash Marandi, Marshall Manesh, Mozhan Marnò, Dominic Rains, Rome Shadanloo, Milad Eghbali u.a.

Hier der Trailer via YouTube:



THE BABADOOK („Der Babadook“; Australien 2014)

Regie: Jennifer Kent; Drehbuch: Jennifer Kent; Produktion: Kristina Ceyton, Kristian Moliere, Jan Chapman, Jeff Harrison, Jonathan Page, Michael Tear; Kamera: Radek Ladczuk; Schnitt: Simon Njoo; Musik: Jed Kurzel; Verleih: Capelight (Central); Kinostart (D): 07.05.2015; FSK: ab 16 Jahren; Länge: 94 Min.; Besetzung: Essie Davis, Noah Wiseman, Daniel Henshall, Hayley McElhinney, Barbara West, Benjamin Winspear, Tim Purcell, Cathy Adamek, Carmel Johnson u.a.

Der Trailer via YouTube:



THE BOY NEXT DOOR (USA 2015)

Regie: Rob Cohen; Drehbuch: Barbara Curry; Produktion: Jason Blum, Elaine Goldsmith-Thomas, John L. Jacobs, Jennifer Lopez; Kamera: Dave McFarland; Schnitt: Michel Aller; Musik: Randy Edelman, Nathan Barr; Verleih: Universal; Kinostart (D): 19.03.2015; FSK: ab 16 Jahren; Länge: 91 Min.; Besetzung: Jennifer Lopez, Ryan Guzman, Ian Nelson, John Corbett, Kristin Chenoweth, Lexi Atkins, Hill Harper, Adam Hicks, Bailey Chase, Jack Wallace, Travis Schuldt, François Chau u.a.

Und noch ein Trailer:



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