"Warrior"
(USA 2011, Regie: Gavin O'Connor)
Boxerfilme
sind Geschichten über proletarische Helden, die sich mit harter (Körper-)Arbeit
aus der Gosse hocharbeiten; über stumpfe und abgestumpfte Männer, die mit dem
Kopf gegen Wände und gesellschaftliche Konventionen anrennen; die den Überblick
darüber verlieren, wo die Begrenzung des Rings beginnt und wo sie endet; über
Männer, die sich in einem endlosen Kampf mit sich selbst und der Gesellschaft
befinden. Boxerfilme sind Aufsteigergeschichten: entweder unreflektierte success stories, die mit dem
Triumph des Außenseiters enden, der mit einem alles entscheidenden Sieg zum Volkshelden aufsteigt. Oder aber sie erzählen als kritische Noir-Varianten davon, was nach dem großen Sieg mit dem Boxer geschieht, wie dieser von skrupellosen Managern ausgebeutet wird, sich mit kriminellen Rackets einlässt, an seinem Ruhm zerbricht und von seinem Körper im Stich gelassen wird.
Boxerfilme sind immer auch Familienfilme: David O. Russells "The Fighter" (2010) erzählt von zwei ungleichen Brüdern und deren desolater Familie, die eigentliche Tragödie in Martin Scorseses "Raging Bull" ("Wie ein wilder Stier"; 1980) ist der endgültige Bruch zwischen den LaMotta-Brüdern, und Burgess Merediths Trainer ist für Sylvester Stallones "Rocky" (1976; John G. Avildsen) natürlich ein Vaterersatz.
Triumph des Außenseiters enden, der mit einem alles entscheidenden Sieg zum Volkshelden aufsteigt. Oder aber sie erzählen als kritische Noir-Varianten davon, was nach dem großen Sieg mit dem Boxer geschieht, wie dieser von skrupellosen Managern ausgebeutet wird, sich mit kriminellen Rackets einlässt, an seinem Ruhm zerbricht und von seinem Körper im Stich gelassen wird.
Boxerfilme sind immer auch Familienfilme: David O. Russells "The Fighter" (2010) erzählt von zwei ungleichen Brüdern und deren desolater Familie, die eigentliche Tragödie in Martin Scorseses "Raging Bull" ("Wie ein wilder Stier"; 1980) ist der endgültige Bruch zwischen den LaMotta-Brüdern, und Burgess Merediths Trainer ist für Sylvester Stallones "Rocky" (1976; John G. Avildsen) natürlich ein Vaterersatz.
Gavin
O'Connor zitiert in seinem Mixed-Martial-Arts-Boxerfilm "Warrior" die
Bausteine und Klischees des Genres, von Rouben Mamoulians "Golden
Boy" (1939) bis zu "Rocky", der Apotheose des Genres, und "Raging
Bull", Scorseses Anti-Boxerfilm. Auch er erzählt von ungleichen Brüdern, dem
verbitterten Heißsporn Tommy (Tom Hardy), einem tablettenabhängigen Ex-Marine, und
dem abgeklärten Familienvater Brendan (Joel Edgerton), der als Physik-Lehrer arbeitet.
Während Brendan als Verlierer der Wirtschaftskrise gezwungen ist, wieder in den
Ring zu steigen, um seine Familie zu ernähren, kehrt Tommy in seine Heimatstadt
Pittsburgh zurück, um sich vom verhassten Vater (Nick Nolte) für die Großveranstaltung
"Sparta", eine Art MMA-Super-Bowl, trainieren zu lassen. "Warrior"
beinhaltet die für das Genre unvermeidlichen Trainingssequenzen und Ausflüge in
den Sozialrealismus. Und natürlich läuft alles auf den letzten, alles
entscheidenden Boxkampf hinaus, bei dem die Brüder und ihre unterschiedlichen
Lebensentwürfe im Ring aufeinanderprallen und die Familie wieder zusammenfindet,
während in Kneipen und zuhause ein Millionenpublikum zusieht.
O'Connor
gelingt es, den im Genre bis zum Erbrechen durchgespielten Plot ohne jede
Ironie zu inszenieren, ganz so, als ob er hier zum ersten Mal erzählt werden
würde. Neben den ausgezeichnet choreografierten Kampfsequenzen macht gerade dies
den Reiz seines Films aus, der leicht neben Russells vordergründig
soziologischem "The Fighter" bestehen kann. Der Hauptgrund dafür,
dass "Warrior" so gut funktioniert, liegt jedoch am exzellenten
Schauspielerensemble: Nick Nolte leistet als passiv-aggressiver Alkoholiker,
der am 1000. Tag seiner Abstinenz rückfällig wird, wahrlich Großes. Tom Hardy,
seit "Bronson" (2008) und "Inception" (2010) auf dem Weg
zum Star, gelingt es, die Zerrissenheit seiner Figur geradezu physisch erfahrbar
zu machen. Der bislang kaum bekannte Joel Edgerton bietet mit seinem
zurückhaltenden Spiel ein ideales Gegengewicht zu Hardys intensiver Performance.
In einer rein dialogisch aufgelösten Konfrontation der beiden Brüder, exakt in
der Mitte des Film positioniert und als Foreshadowing des Schlusskampfes
angelegt, erscheint Tommys Körper krumm und schief, wie unter der Last der
familiären Konflikte verbogen. Zwischenmenschliche Konflikte visualisiert der
Film dagegen vor allem mit Großaufnahmen, die den Fokus vom Körper auf das
Gesicht, vom embodiment zum acting verschieben. Zugleich bündelt O'Connor damit den
Konflikt, der das Zentrum seines Films bildet: In "Warrior" ist der eigentliche
Kriegsschauplatz die Familie, die alle Beteiligten gezeichnet hat. Selbst die
Flucht Tommys in die Ersatzfamilie Army bestätigt die Erfahrung, dass es gerade
das "friendly fire" ist, das umso tiefer verletzt.
Dieser Text
ist in einer erweiterten Fassung erschienen in Splatting Image #89, März 2012
"Warrior" (USA 2011)
Regie: Gavin O'Connor; Drehbuch: Gavin O'Connor, Clif Dorfman,
Anthony Tambakis; Kamera: Masanobu
Takayanagi; Produzenten: Gavin &
Greg O'Connor, John J. Kelly; Musik:
Mark Isham; Schnitt: Sean Albertson,
Matt Chesse, John Gilroy, Aaron Marshall; Darsteller:
Joel Edgerton, Tom Hardy, Nick Nolte, Jennifer Morrison, Frank Grillo, Kevin
Dunn, Maximiliano Hernández, Bryan Callen u. a. - DVD-Anbieter: Universum - Laufzeit:
134 Min.
Und hier noch der Trailer via Youtube:
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