Sonntag, 9. August 2009

Men in Black: TROPA DE ELITE



Tropa de Elite (The Elite Squad) – BZ-NL-USA 2007 – Regie: José Padilha – Kamera: Lula Carvalho – Produktion: Marcos Prado, Jose Padilha – Koproduzenten: Eliana Soarez, James D’Arcy – Schnitt: Daniel Rezende – Drehbuch: Jose Padilha, Rodrigo Pimentel, Braulio Mantovani – Darsteller: Wagner Moura (Capitão Nascimento), André Ramiro (André Matias), Caio Junqueira (Neto), Maria Ribeiro, Fernanda Machado, Milhem Cortaz, Paulo Vilela u.a. – FSK: keine Jugendfreigabe – Fassung: O.m.d.U. – Länge: 115 min. – Start: 6.8.2009


Mit Tropa de Elite kommt nun der umstrittene Berlinale-Gewinner des letzen Jahres endlich regulär in die Kinos. Den Vorsitz der Jury hatte damals Costa-Gavras inne, ein Regisseur, der mit Z (ALG-F 1969) bereits Ende der 60er Jahre einen vergleichbaren Filmstil popularisierte. Padilhas Film thematisiert die BOPE, eine brasilianische Militärpolizeieliteeinheit, die regelmäßig in die Favela vorrückt, um Drogendealer zu eliminieren und die eigenen, oft korrupten Kollegen aus gefährlichen Situationen herauszuschießen – oder, je nach Laune, auch gleich mit abzuknallen. Padilha bevorzugt filmische Mittel, die einen dokumentarischen Gestus suggerieren und auf einen veristischen Effekt zielen. Oft schwenkt die Handkamera in Gesprächen zwischen den Protagonisten hin und her, ganz so, als ob hier nichts inszeniert sei. Noch öfter nimmt sie die Rolle eines teilnehmenden Beobachters ein: Auch der Kameramann duckt sich in Actionszenen weg, begleitet einem embedded journalist gleich shoot-outs ebenso wie die Trainingseinsätze im Großstadtslum. In einer Szene spritzen ein paar Tropfen Kunstblut auf die Linse, so dass kleine rosa Flecken für den Rest der Einstellung über den Bildern hängen bleiben. Das alles soll uns sagen: Wir sind dabei, unmittelbar, direkt, unverfälscht.


Das Sujet Favela hat sich in den letzten Jahren, insbesondere seit Cidade de Deus (City of God; BZ 2002), in dem Zweig des Kinos eine Nische geschaffen, der oft so anmaßend wie abschätzig „Weltkino“ genannt wird. Viele dieser meist als „links“ verstandenen Filme gehen in ihrer Konstruktion von „Realismus“ auf Pontecorvos oder Costa-Gavras’ politische Agitationsfilme aus den bewegten 60ern zurück, in Teilen auch auf den poetischen Realismus der Franzosen und den Neorealismo der Italiener. Dabei übt Pontecorvos Meisterwerk La Battaglia di Algeri (Die Schlacht um Algier; I-ALG 1966) in seiner geschickten Konstruktion von Verismus, Pathos und Historie wohl den stärksten Einfluss aus. Aber auch das US-amerikanische New Hollywood hat in diesen neuen „Ghetto-Filmen“ seine Spuren hinterlassen. Es waren insbesondere Scorsese und Altman, die sich ab den 1970er Jahren immer wieder abgeschlossenen Milieus zuwandten, diese mittels einer Ensemble-Cast als multiperspektivischen Mikrokosmos porträtierten. So wie Altman sich weniger für die Einzelschicksale als Nashville (USA 1975) selbst interessiert und Scorsese vor allem New York, Little Italy und die Mafia in der Neuen Welt erforscht, wobei er Las Vegas oder New York in Casino (USA 1995) und Gangs of New York (USA 2002) wie einen Organismus behandelt, so sind Filme wie Cidade de Deus und Tropa de Elite fasziniert von Stadtteilen, Institutionen, hermetisch abgeriegelten Milieus. Zumindest partiell folgen sie damit einer ethnografischen Ausrichtung als Teil der filmischen Narration. In Cidade de Deus war das Untersuchungsobjekt ganz unmittelbar die Favela und ihre Einwohner, bei Padilho ist es nun vor allem eine Eliteeinheit, gewissermaßen der Feind der Favela, die den eigentlichen Protagonisten für den in drei Akte strukturierten Film bildet.


Zu Beginn stellt uns die voice-over von Capitão Nascimento (Wagner Moura) die Hauptkonflikte vor: Korruption in der regulären Polizei; ein BOPE-Offizier, der seinen Nachfolger sucht (Nascimento selbst); zwei potentielle Kandidaten dafür; das soziale Umfeld inklusive der privaten Konflikte. Der zweite Teil schildert die militärische Ausbildung der Rekruten in einem Trainingscamp und erste Einsätze während der „Operation Papa“, der gewaltsamen „Säuberung“ des Slums für den angekündigten Papstbesuch. Im dritten, dem kürzesten Akt, folgen Scheitern und Bewährung von Kandidaten wie Vorgesetzten. Hier offenbart sich dann auch eine Schwäche des Konzepts, das gerade die erste Hälfte des Films so stark macht: Letztlich können wir nur wenig mit den Protagonisten anfangen, sie lassen uns kalt, und das nicht nur, weil sie zunehmend grausam handeln, sondern weil in erster Linie Interesse am Milieu und den offenen und verdeckten Machtstrukturen geweckt wurde (einer der Rekruten, der universitäre Weiterbildungskurse besucht, bereitet dort ein Paper zu Foucault vor – ein Wink mit dem Zaunpfahl für die Rezensenten, wahlweise auch eine Hommage an die Buchvorlage, die eine Gruppe von Soziologen verfasst hat).


Mehrfach wurde dem Film eine faschistoide Haltung vorgeworfen. Tatsächlich betont Nascimento, der zentrale Charakter des Films, einmal, dass er nur die schwarze Uniform tragen wolle. Das Emblem der Einheit ist ein Totenkopf mit gekreuzten Pistolen und einem Dolch; die SS-Assoziationen sind offensichtlich. Auch das Handeln: Die immer wieder ausführlich gezeigte Folter mit der Plastiktüte über dem Kopf, das Prügeln, die Erst-Schießen-dann-Fragen-Mentalität. Einmal lässt einer der Polizisten beim Foltern dem Opfer die Hosen runterziehen, greift sich einen Besenstil und spuckt auf die Spitze. Gnädigerweise lässt Padilha das Opfer gestehen, so dass er uns nicht auch noch die Vergewaltigung zeigt. Auch die Ausbildung hat vor allem das Ziel, Killer zu schaffen. Ganz am Ende des Films ist der intellektuellere der beiden jungen Anwärter zum Teil der Todesschwadron mutiert. Als er sich anschickt, einem wimmernden Dealer, der wenigstens für seine Familie um ein versehrtes Gesicht bettelt, mit der Schrotflinte eben dieses wegzuschießen, erklärt die Stimme aus dem Off befriedigt, nun sei auch er endlich ein echter BOPE-Mann.


Ist es faschistisch, das zu zeigen? Oder zeigt der Film vor allem den Faschismus seiner Figuren? – Eine alte Frage, deren Beantwortung oft mehr über die Haltung des Rezensenten verrät als über den Film. Fakt ist, dass die Wertung hier, so sie denn existiert, sehr zurückgenommen ist; die Foucault- und Milgram-Verweise am Anfang hin oder her. Die Rahmenhandlung mit dem Papst-Besuch ist vielleicht die eindeutigste Positionierung des Films: Da kommt das Oberhaupt der katholischen Kirche zu Besuch und setzt sich ausgerechnet in den Kopf, im Elendsquartier abzusteigen. Allein für diese Arroganz der Macht müssen Hunderte sterben. Was die Zeichnung der BOPE angeht, so würde ich aber darauf wetten, dass für jeden kritischen Artikel über den Film oder über die real existierende BOPE mindestens ein junger brasilianischer Polizist in eine solche Eliteeinheit eintreten wollte. Dass der Film letztlich offen für jede Lesart bleibt, ist aber zumindest besser, als die Zuschauer permanent zu bevormunden. Ein etwas schaler Geschmack bleibt dennoch zurück. Vielleicht rührt der aber auch daher, dass man früher oder später bemerkt, wie sehr man der martialischen Inszenierung soldatischer Männlichkeit wider Erwarten auf den Leim geht.