Donnerstag, 23. Oktober 2008

Bitteres Lachen: Mario Monicellis LA GRANDE GUERRA (europäische Komödie II.)

LA GRADE GUERRA
(MAN NANNTE ES DEN GROSSEN KRIEG)
Mario Monicelli
I-F 1959
DVD, Scope, OmU, s/w
****1/2


Mario Monicelli zählt zu den Meistern der Commedia all’italiana, der Filmkomödie Italiens, die insbesondere in den 50er und 60er Jahren beim Publikum äußerst erfolgreich war. In vieler Beziehung weicht die italienische Komödie von anderen nationalspezifischen Varianten Europas ab. Stärker an die Wurzeln des europäischen Stegreiftheaters zurückgehend, ist sie oft vulgär und proletarisch, ihre Protagonisten amoralisch und stereotypisiert, die Hauptfiguren bestenfalls Anti-Helden. Der schwarze Humor und die absurde Spiegelung der Realität ist ihre Domäne. Monicelli hat in einem Interview einmal seine historischen Komödien wie folgt charakterisiert: „All Italian comedy is dramatic. The situation is always dramatic, often tragic, but it's treated in a humorous way. But people die in it, there's no happy ending. That's just what people like about it. It deals with death, hunger, poverty, illness“. Der spezifisch „italienische“ Humor dieser Filme gründet dabei in der Vermischung von Komik, Melodramatik, Politik und Horror; alles vom riso amaro, dem bitteren Lachen, geeint. Das Italien-Lexikon beschreibt die von dem Autorenteam Age & Scarpelli geschriebenen Komödien, die auch die Koautoren von LA GRADE GUERRA sind, entsprechend als "oft noch hoffnungsloser als die neorealistischen Filme […] Die Personen werden meist von der Geschichte gebeutelt und haben unwiderruflich jedes bürgerliche Ideal verloren […]. Die Komödie auf italienisch setzt den Mißerfolg, das Lächerliche und Formen des Elends in Szene". Der Semiotiker Jurij M. Lotman hat an Pietro Germis Komödien die italienische Tradition dieser Filme herausgestrichen, deren Zynismus nicht selten ausländische Zuschauer schockierte:

"Hier sollte man sich an die Sprache des Puppentheaters und der commedia dell'arte erinnern, in denen der Tod eine komische Episode, der Mord eine Buffonade und das Leiden eine Parodie sein kann. Die Härte des italienischen [...] Volkstheaters steht in unmittelbarer Beziehung zu seiner Konventionalität. Der Zuschauer ist sich dessen bewußt, daß auf der Bühne Puppen oder Masken agieren, und empfindet ihren Tod oder ihre Leiden [...] im Sinne einer rituellen Maskerade. [...] [Doch] die plebejisch grobe, marktschreierische Sprache [...] [dieser] Filme birgt nicht weniger Möglichkeiten sozialer Kritik als der [...] Stil der Individualisierung des Schauspielers und der Humanisierung der Bühne."

Mit ihrer Mischung aus Komik und Tragik wäre die italienische Komödie gewiss aus Platons Ideal-Staat ausgewiesen worden, für den der Philosoph doch die Reinheit der Kunst vorsah – wenn die italienische Komödie eines ist, dann von erfrischender Unreinheit.


„Ho lasciato la mamma mia / l’ho lasciata per fare il soldà“ – „Ich habe meine liebe Mama verlassen / ich verließ sie, um Soldat zu werden“. LA GRADE GUERRA eröffnet mit dieser melancholischen Soldatenweise Nino Rotas, doch schon die Bilder stellen sich dazu in boshaften Kontrast: Stiefel stapfen durch Schlamm, der Titel „der große Krieg“, gemeint ist der Erste Weltkrieg, erscheint zum Blick in eine graue Eintopfsuppe, eine dreckige Hand schneidet einen Laib Weißbrot, eine Feldflasche wird aufgefüllt, Zigaretten gerollt, Postkarten beschriftet, ein Knopf angenäht, dann abermals Stiefel, die bandagiert werden, um sogleich wieder durch den Schlamm zu marschieren. Eintönigkeit, Entindividualisierung, Langeweile. Einmal heißt es in diesem Film, der Krieg würde vor allem aus Warten bestehen; dem Warten in durchnässter Kleidung auf die Essensration, die sowieso nie kommt; auf die Heimat, die man unfreiwillig verlassen hat; auf das Kriegsende, das man sowieso nicht erleben wird. Heldentum werden wir in diesem Film nicht zu sehen bekommen. Und wenn die Protagonisten einmal – wohlgemerkt: aus Trotz und Unwissenheit – ein militärisches Geheimnis bewahren, so müssen sie es bitter bezahlen.


Die von Alberto Sordi und Vittorio Gassman gespielten „Helden“, ein Römer und ein Mailänder, sind vor allem fessi, Idioten, aber ihr Drückebergertum erscheint in jedem Fall vernünftiger als falscher Heroismus. Und es sind gerade ihre Kleinlichkeiten und unnützen Streitereien, die sie menschlich und uns sympathisch machen. Umso grausamer wirkt es, wenn Monicelli sie kurz vor dem Ende des Films nonchalant nacheinander in distanzierenden Totalen von den Österreichern füsilieren lässt. Der Epilog ist dann vielleicht wirklich zynisch: Ein ehemaliger Vorgesetzter sieht inmitten des Schlachtens die Leichen der beiden: „Sogar diesmal kommen diese Faulenzer einfach davon!“, so sein Kommentar. Die Kamera steigt in die Höhe, die Soldatenmassen rennen weiter in den Tod. Fine. Der Effekt ist niederschmetternd und auch dies unterscheidet Monicellis Filme zusammen mit einigen anderen italienischen Komödien so stark von deutschen und amerikanischen Vertretern des Genres: Außer den Italienern hat niemand die Frechheit (bzw. den Mut), seine Komödie damit zu enden zu lassen, dass der Hauptprotagonist mit einem Mord durchkommt (wie in DIVORZIO ALL’ITALIANA / SCHEIDUNG AUF ITALIENISCH, 1961), totgeprügelt wird (wie in Wertmüllers FILM D’AMORE E D’ANARCHIA… / LIEBE UND ANARCHIE, 1973), oder eben wie hier standrechtlich erschossen wird.

Auch formal ist Monicellis aufwändig produziertes Werk durchaus beeindruckend: Das Scope-Format wird oft bis ganz an den äußersten Rand ausgenutzt, die Schwarzweiß-Fotografie ist kontrastreich und immer wieder finden sich flüssige oder gänzlich statische Plansequenzen (etwa die nach ca. einer Stunde im Film in der Notunterkunft). Die Massenchoreografie ist so effektiv wie der Humor boshaft und gegen jede Organisation gerichtet ist: Ein junger Soldat stirbt, weil er ein versiegeltes, also vermeintlich wichtiges Schreiben durch die feindlichen Linien trägt – tatsächlich sind es nur Weihnachtsgrüße der Offiziere untereinander. Ein anderer übernimmt für wenige Lire jede Selbstmordmission, um Geld für Frau und Kind zu sammeln. Er stirbt schließlich bei einem „normalen“ Einsatz; also umsonst. Wieder ein anderer schwingt große Reden darüber, dass Arbeiter wie er an der Heimatfront gebraucht werden würden – es stellt sich raus, dass er im Zivilleben Friseur ist. Und grundsätzlich ist hier jeder, der sich in Monicellis absurd und zugleich oft realistisch gezeichneter Kriegswelt an die Regeln hält, der wahre Idiot. Mittendrin dann ein ausgesprochen poetischer Moment: Eine junge Hure hat keine Lust mehr, von den Soldaten wie Dreck behandelt zu werden und schmeißt ihren Beruf hin. Ein Soldat bekommt dies mit und macht ihr daraufhin den Hof, ganz so, als ob sie eine echte Dame wäre. Beide spielen das Spiel bis zu Ende und doch ist beiden klar, dass sie dem jeweils Anderen eine Rolle vorspielen – und dass der das auch weiß. Nach der gemeinsamen Nacht stiehlt sie ihm trotzdem das Portemonnaie. Später im Film treffen sie sich dann wieder. Sie hält ihn mit einer Handgranate (!) in Schach, gibt ihm aber schließlich seine Brieftasche wieder, da er darin ein Kinderbild aufbewahrt. Sie nimmt an, es müsse das seines Sohns sein. Er: Das bin ich als Kind. Sie: Welcher Idiot läuft mit seinem eigenen Kinderbild herum? Fesso!

LA GRANDE GUERRA und Monicellis L'ARMATA BRANCALEONE (1966) nahmen in vieler Beziehung Trends vorweg; den absurden Humor in Richard Lesters MUSKETEERS-Filmen (1973/74) und ROYAL FLASH (1975) ebenso wie Leones ahistorischen Behandlung des US-amerikanischen Bürgerkrieges und der Mexikanischen Revolution in IL BUONO, IL BRUTTO, IL CATTIVO (1966) und GIÙ LA TESTA (1971), natürlich auch Monty Pythons Genreparodien in den 70ern.


Sonntag, 12. Oktober 2008

Eisregen: Olivier Marchals MR 73

MR 73

Olivier Marchal

F 2008

DVD (Paramount, Frankreich), Scope, OmU

****


Völliges Schwarz, pechdunkel wie die Nacht. Eine Frage aus der Finsternis: Ob er getrunken habe? Eine raue Männerstimme verneint. Dann: eine übernahe Großaufnahme, von den Augenbrauen bis zur Mundpartie, ganz im Stil des jungen Samuel Fullers und Sergio Leones: Daniel Auteuils zerfurchtes Gesicht im Viertelprofil, in Schwarzweiß, die getönte Sonnenbrille verdeckt die Augen. Worüber er denn sprechen wolle, fragt die Ärztin im Umschnitt. Unvermittelt fragt er, ob sie an Gott glaube. Sie bejaht, stellt die Frage zurück. Er glaube, entgegnet er, dass Gott ein Hurensohn sei. Und: „Eines Tages werde ich ihn töten.“ Ein Schnitt katapultiert den kaputten, alten Mann in der Zeit vor; es könnte auch in die Vergangenheit sein, das wissen wir hier noch nicht. Mit glasigen Augen sitzt er in einem öffentlichen Bus, starrt trübe vor sich hin, offenbar betrunken. Dann kramt er umständlich eine zerknautsche Kippe hervor und zündet sie an. Dazu erklingt Leonard Cohen: „Avalanche“ (1970). Bald darauf wird er den Bus mit vorgehaltener Waffe kidnappen.


So beginnt Olivier Marchals neuer Film policier. Und eine avalanche, eine Eislawine, ist der Film tatsächlich geworden. Marchals an den jüngeren Stilisten des Kinos, an Jean-Pierre Melville, Sergio Leone und Michael Mann geschulter Stil ist noch kälter geworden, durchgängig fröstelt es einem, so grausam ist diese Welt, in der alle vollständig sich selbst und der Gesellschaft entfremdet sind. Hier prügeln sich die Polizisten noch an den Tatorten um die Kompetenzen und selbst in der Leichenhalle entsteht eine Schlägerei ums Beweismaterial. Auteuil spielt Kommissar Schneider, einen Marseiller Polizisten, der nach dem Tod seiner Tochter und der Verkrüppelung seiner Frau an der Krankheit zum Tode leidet, oder wie es bei Cohen heißt: „Well I stepped into an avalanche / It covered up my soul”.

Die Episode mit dem Bus wird schnell von den Vorgesetzten vertuscht – vielleicht verstehen sie den Schmerz des Mannes, vielleicht ist es schon so sehr zur Routine geworden, Fehlleistungen zu kaschieren, Korruption zu verdecken, Beweise verschwinden zu lassen. Wir werden das jedenfalls noch einige Male in diesem Film sehen. Das ist Teil der Genreebene des Films; Paranoia und Narzissmus gehören zum Polizeifilm wie Pferde in den Western. Und besonders der französische Polizeifilm war oft eine Meditation über Entfremdung und über die Suche nach Erlösung. Im Film policier und seinen Noir-Varianten lebt der Existenzialismus fort; die Hölle, das sind hier die anderen. Und in MR 73 haben wahrlich fast alle Menschen die Hoffnung verloren, und Marchal in sie. Das erinnert ein wenig an Melvilles LE CERCLE ROUGE (VIER IM ROTEN KREIS, 1970), an den Vorgesetzten, der dort erklärt, es gäbe keine Unschuldigen: Alle sind schuldig, ausnahmslos. Schneider jedenfalls benötigt dringend Erlösung; die Selbstzerstörung des Protagonisten durch Alkohol wurde im Polizeifilm wohl nur in Abel Ferraras BAD LIEUTENANT (1992) ähnlich radikal betrieben. Mit fettigen Haaren, immer noch besoffen, die Hosen vollgepisst, wird Schneider in der Arrestzelle geweckt und vor die internen Ermittlern gestellt. Nachdem er gegangen ist, meint der Kollege, er sei eine Zeitbombe. Die Kollegin ergänzt, das allerdings seien sie alle. Das ist doppelt wahr: Einmal weil Schneider am Ende des Films tatsächlich ein Blutbad anrichten wird und zum anderen, weil die Schauspielerin Catherine Marchal bereits im Regiedebüt ihres Ehemannes eine Polizistin spielte, die alles aufs Spiel setzt – und alles verspielt.

Vordergründig erzählt MR 73 von der Suche nach einem Serienvergewaltiger und -mörder, der im Modus eines bereits verhafteten Täters vorgeht (der wird wiederum gespielt von Philippe Nahon, dem Schlachter aus Gaspar Noés nihilistischen Filmen). Gegen Ende des Films ist der junge Mörder tot, aber der alte wird wieder in die Freiheit entlassen und hat sich nicht um ein Jota verändert. Das Böse wird immer in der Welt bleiben: Fängt man den einen ein, so geht draußen bereits der nächste um. Schneider trifft in der jungen Justine (Olivia Bonamy), deren Eltern von Nahons abstoßender Figur abgeschlachtet wurden, seinen Engel aus Staub, seine Chance auf Erlösung. Bonamy spielt sie als New-Wave-Engel mit blondierten, vom Kopf abstehenden Haaren und schwarzen Augen, die direkt in den Abgrund blicken lassen. Einmal sagt Schneider, Niemand wolle, dass es geschieht und doch geschehe es. Und am Ende geschieht es tatsächlich; nur anders, als man erwartet.

So düster der Plot von Marchals Films ist, optisch hat er einen Schwarzweißfilm in Farbe gedreht. Viele Sequenzen sind entweder farbentsättigt oder in einer monochromen Farbpalette eingerichtet; mal blaugrau, dann sepia, dann wieder graubraun, rostrot, ein anderes Mal sind es lediglich Schneiders rot getönte Brillengläser, die Farbe ins Bild bringen. Die Rückblenden sind sowieso Schwarzweiß. In die dunklen Innenräume frisst und schneidet sich Licht in gleißenden Bündeln durch Jalousien oder Fenster. Zu Anfang des Films, in der Arrestzelle, in den Duschen im Knast und in den Fluren davor, scheinen die Wände geradezu wegzufaulen, aufgerissen und aufgeplatzt begrenzen sie den blaugrau ausgeleuchteten Raum. Auch das Draußen ist wenig einladend. In einer Aufsicht spät im Film auf eine wüste Landschaft erscheint auch diese wie von Schimmel befallen. Manchmal wirkt das alles näher an der Welt Victor Hugos als an der Moderne. MR 73 ist ein Film aus einem Schattenreich, zwischen Vergangenheit und Gegenwart pendelnd und beides ist doch gleich grässlich. Die MR 73 im Titel ist übrigens ein Revolver, eine Polizeispezialanfertigung. Sie wird erst spät im Film eingeführt und funktioniert vor allem als Referenz an frühere Films policier wie Alain Corneaus POLICE PYTHON 357 (1976). Auch wenn Marchal wie hier viel zitiert und auf andere Filme verweist, insbesondere auch auf POUSSIÈRE D’ANGE (1987), so ist es ihm mit dem Abschlussfilm seiner Polizeifilmtrilogie doch gelungen, den Dunkelschattierungen des französischen Polizeifilms eine ganz eigene Nuance hinzuzufügen.


Stuss: RIGHTEOUS KILL

RIGHTEOUS KILL
Jon Avnet
USA 2008
Kino, Breitwand, OF
*1/2


De Niro und Pacino. Pacino und De Niro. Zwei Stars, die sich angeblich nicht leiden können, zwei große Schauspieler Hollywoods in einem Film. Als Partner, wohlgemerkt, nicht als Rivalen wie noch in Michael Manns HEAT (1999). Am Ende des Films sind sie dann aber doch wieder Gegner.


Die Montage des Films scheint vom beiderseitigen Geltungsdrang Zeugnis abzulegen. Bekommt De Niro eine Großaufnahme, so auch Pacino in der nächsten Einstellung. So geht das den ganzen Film, bis man irgendwann das Gefühl bekommt, im Vertrag beider Schauspieler wurde explizit festgelegt, sie müssten exakt gleich viele Großaufnahmen wie der jeweils andere erhalten, zudem in der gleichen Einstellungsgröße. Da beide folglich fast nie zusammen im Bild auftreten und der Film vor allem von der Sensation „Pacino und De Niro, seit HEAT erstmals wieder in einem Film!“ sein Kapital ziehen will, wirkt das alles ein wenig wie ein Tennismatch: Pacino, Großaufnahme, links im Bildkader angeordnet. Schnitt. De Niro, Groß, rechts im Bild angeordnet. Cut wieder zu Pacino in der gleichen Einstellung usw.


Auch sonst bietet der Film wenige Überraschungen. Die üblichen abgedroschenen Polizeifilm-Klischees, die beiden alten Herren, De Niro ist 65, Pacino immerhin 68, agieren tapfer gegen das schwache Drehbuch an, wobei De Niro wirkt, als ob ihn das Interesse an tough guys schon lange abgeht. Der Regisseur versucht sich filmisch mehr schlecht als Recht an aktuelle Stilismen anzulehnen. Am Anfang will Avnet etwa Figuren und Milieu mit schnellen Schnitten und einer abrupten Montage etablieren, doch es gerät ihm nur zum konfusen Machozirkus. Unweigerlich muss man an Scorseses THE DEPARTED (2006) denken und daran, wie meisterlich der das Polizei-Milieu und die Ausbildung in wenigen Minuten mit einer komplexen Montage zusammenzuraffen vermochte. Später setzt Avnet in den Verhören Splitscreens ein. Doch auch ein De Palma ist er nicht: Dazu fehlt ihm der Mut zur reinen, barock verschnörkelten Oberfläche. Am schlimmsten ist aber, dass der ganze Film auf den wohl durchschaubarsten Plot-Twist der letzten zehn Jahre hinzu konstruiert ist und diesen schließlich mit bitterernst gemeinter, selbstherrlicher Geste aufdeckt. Wer sein Publikum für so dumm hält, kann einfach nur völlig arrogant sein. Oder strohdumm.



Donnerstag, 2. Oktober 2008

Schießbudenfiguren: DER BAADER-MEINHOF-KOMPLEX


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DER BAADER-MEINHOF-KOMPLEX
Uli Edel
D 2008
Kino, WS
**1/2

Das ist er also: Bernd DER UNTERGANG Eichingers Version von Stefan Austs mittlerweile um die 700 Seiten dicker, ziemlich detailversessener RAF-Aufarbeitung. Der Anfang ist richtig gelungen: Berlin in den späten 60ern, Schah-Besuch, Jubelperser mit Dachlatten, Bullen mit Knüppeln, US-amerikanische Popmusik. Da springt etwas über von dem Gefühl ohnmächtiger Wut, das einige damals dazu brachte, zu rebellieren, aufzubegehren, schließlich sogar zu den Waffen zu greifen. Doch danach geriert alles schnell zum kompetent gemachten, sinnleeren Ausstattungskino. Edel und Eichinger arbeiten sich sklavisch daran ab, so viel wie möglich von zehn Jahren bewaffnetem Kampf und Staatsgewalt in 150 Minuten zu pressen und dabei nahezu jeden bekannteren Schauspieler Deutschlands zumindest in einer Nebenrolle unterzubringen. Da reiht sich Attentat an Exekution, gewaltsamer Übergriff an staatliche Gegenaktion; Boom-Boom, Bang-Bang. Von den Figuren und ihren Motiven erfahren wir jedoch fast nicht. Die RAFler reden alle Flugblatt-Sprech: „Wir müssen den anti-imperialistischen Kampf in die Welt tragen“, „der Kampf hat sich internationalisiert“, oder so ähnlich. Das sind die Dialoge, die Edels / Eichingers Terroristen bestenfalls führen dürfen. Intellektuelle Debatten finden nie statt, alles bleibt purer, leerer, letztlich sinnloser Aktionismus. Und Bruno Ganz, Eichingers Hitler, zeigt als Horst Herold Verständnis, während er Hummersuppe an seine Mitarbeiter ausschenkend düster vor sich hinraunt – der BKA-Beamte als Seher, als Schamane. Am anderen Ende der Skala: Moritz Bleibtreus Baader: fast immer brüllend, Schaum vorm Mund, das böse Wort „Fotze“ schließt zumindest gefühlt jeden zweiten Satz ab. Ein purer Macker, nichts sonst. Da er aber wenigstens keine Stuss-Politmonologe absondern darf, wird er fast zur alleinigen Identifikationsfigur des Films. Im fast ausverkauften Kino haben zumindest immer alle gelacht, wenn er wieder brüllen durfte: „Halt’s Maul, Schlampe!“ oder: „Ficken und Schießen sind ein und die gleiche Sache.“

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Sergio Martinos "Giallo" LA CODA DELLO SCORPIONE

LA CODA DELLO SCORPIONE

(THE SCORPION’S TAIL aka THE CASE OF THE SCORPION'S TAIL aka DER SCHWANZ DES SKORPIONS)

Sergio Martino

I-E 1971

DVD, Scope, OmU

***1/2


Der italienische Kriminalfilm der Nachkriegszeit hat im Wesentlichen drei bedeutende Varianten hervorgebracht. Da sind einmal die gialli politici, die kritischen Kriminalfilme im Stil des cinema di denuncia, in denen alles "auf eine descrizione [hinausläuft], eine Beschreibung [...], in der eine Anklage an die Realität die zentrifugale Stellung einnimmt" (Sandro Moraldo). Dann gibt es die populistischen film poliziotteschi, bisweilen auch als film polizieschi-gangsteristici bezeichnet: actionreiche B-Filme von Regisseuren wie Umberto Lenzi und Enzo G. Castellari (= Girolami). Ihre Filme kombinierten in den 70er Jahren Motive von Gangsterfilm und Polizeifilm, lehnten sich deutlich an US-amerikanische Vorbilder wie z. B. die Roger-Corman-Produktionen an und entwarfen mit rücksichtslosen Ermittlerfiguren und überzogen psychotischen Verbrechern ein populistisches, oft rechtsgerichtetes Gegenmodell zu dem kritisch-deskriptiven Kriminalfilmen der linken Aufklärer. Die dritte Variation bilden die barock-blutrünstigen film gialli dell'orrore, die am ehesten mit dem Werk von Regisseuren wie Mario Bava und Dario Argento verbunden werden. Diese äußerst artifiziellen Kriminalfilme waren nahe am Horrorfilm (film dell'orrore) angesiedelt und damit das eskapistischste oder zumindest das am weitesten der Realität entfernteste Modell des Giallo. Zugespitzt könnte man den drei Varianten die Schlagwort Verismus, action und Oberflächenreiz zuordnen.

In der internationalen Filmkritik hat sich ausgehend von Fanartikeln die Verwendung des Terminus Giallo für die Filme Bavas, Argentos und ihrer Nachfolger etabliert, auch wenn film giallo genau genommen doch grundsätzlich den italienischen Kriminalfilm bezeichnet. Der idiomatische Begriff geht auf die populären Kriminalromane des Mondadori-Verlages zurück, der ab 1929 eine Serie von Kriminalromanen in gelben (= giallo) Umschlägen veröffentlichte. Tatsächlich sind viele der italienischen Kriminalfilme auch im weitesten Sinne eher film polizieschi, da sie Polizisten oder Staatsanwälte als Ermittlerfiguren in der Hauptrolle haben. Doch weder für die Gialli in der Nachfolge Bavas und Argentos noch für die politischen Kriminalfilme wäre eine solche Bezeichnung zutreffend; in den einen Filmen sind die Ermittlerfiguren weitgehend unbedeutend, und die Erzählungen der kritischen Kriminalfilme laufen strukturell auf deren Dekonstruktion hinaus. In gewisser Weise ist der Begriff Giallo heute außerhalb Italiens zu einer Art virtuellem Genre geworden, in etwa vergleichbar der Genese des Begriffs Film Noir. Was also sonst als Giallo firmiert, ist im Wesentlichen die Formel film giallo dell'orrore.


Nach dem Veteranen des Subgenres Bava und seinem Meister Argento ist Sergio Martino so etwas wie der Thronanwärter, oder, wollte man es böse formulieren: der Epigone der Formel film giallo dell'orrore. Martinos LA CODA DELLO SORPIONE, wie viele der End-60er/Anfang-70er-Gialli mit einem blümeranten Titel inklusive Tiernamen darin ausgestattet, wirkt zunächst wie eine Art Tourismus-Giallo. Statt in Italien spielt Martinos Film in London und Griechenland, die Akropolis, natürlich, sehen wir einmal pittoresk im Hintergrund. Ansonsten aber werden alle, der seit Bavas SEI DONNE PER L’ASSASSINO (I-BRD-F 1964) und Argentos L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (I-BRD 1970) etablierten Motive der Formel durchgespielt: Frauen in damals modischen Kostümen; ein schwarz gekleideter Killer mit ebenso schwarzen Handschuhen; deformierte Puppen und gewundene Wendeltreppen; Blut, so rot wie Lackfarbe. Des Weiteren: formale Experimente, etwa eine ganze Sequenz, die in einer Einstellung eingefangen wird, wobei die Kamera um 90 Grad gekippt ist und hin und her pendelnd die Figuren einfängt; die Tendenz dazu, scheinbar gegensätzliche und extreme formale Mittel (etwa enorme Weitwinkel und übernahe Details), nicht nur in einer Sequenz einzusetzen, sondern gegeneinander zuschneiden (etwas, was das europäische Genrekino dieser Ära im Besonderen gegenüber dem US-amerikanischen auszeichnet); natürlich auch die subjektive oder besser: subjektivierende Kamera in den Mordsequenzen, in denen bisweilen auch primärfarbiges Licht zum Einsatz kommt; grundsätzlich deren Einrichtung als set pieces; natürlich auch der Sadismus des Killers, der von der Polizei als „sexuell Perverser“ bezeichnet wird. Typisch ist zudem die Figur des extrastaatlichen Ermittlers, der als Aufklärer des Mord-Komplotts fungiert, hier ein Versicherungsdetektiv und eine Journalistin; das Misstrauen der Polizei gegenüber dem Protagonisten (dieses Mal ausnahmsweise berechtigt) und, am Ende dann, die denkbar unglaubwürdigste Auflösung des Falls.

Die Krimis italienischer Machart sind keine Whodunnits, eher Howdoits, denen die Oberfläche alles zählt und die darum auch wesentlich kinematografischer sind, als die Filme, die sich für eine logische Detektion interessieren. Hätten die Italiener nur ein wenig öfter etwas mehr Sorgfalt auf die Konstruktion ihrer Geschichten verwandt, sie hätten ein Meisterwerk nach dem anderen produzieren können. Aber vielleicht hätten sie dann auch nicht mehr so viel Sorgfalt für die formalen Aspekte aufwenden können.

Empfehlenswert ist die US-amerikanische DVD des Labels No Shame: Korrektes Breitwand-Format, lebendige Farben, Originalton mit Untertiteln und sogar ein wenig Bonusmaterial. Die deutsche DVD hat dagegen ein äußerst matschiges Bild.


Märchenwelt: Alexandre Ajas MIRRORS

MIRRORS
Alexandre Aja
USA-RU 2008
Kino, Scope, OF
***1/2


SHINING (1980), THE EXORCIST (1973), ALIEN (1979), Scorseses MIRROR MIRROR aus dem AMAZING STORIES (1986) und vieles weitere werden hier zitiert. Das Remake eines koreanischen Films von Sung-ho Kim ist das Ganze auch, zudem von einem Franzosen, mit US-amerikanischem Geld z. T. in Rumänien gedreht. Ein spätmodernes Produkt des Kinos also, oder eher der Postmoderne, Ergebnis von Vermischungs- und Kreolisierungsprozessen; der Horrorfilm through the looking glass. Der Plot ist ziemlicher Stuss, aber das stört auch nicht sonderlich; am Ende gibt es gar eine Killernonne, die Spinnengleich die Wände hochgeht.


Aja ist der Märchenerzähler unter den neuen Horrorfilmern und das macht ihn gegenüber den heutigen Folterfilmern so sympathisch: Sein Meisterwerk HAUTE TENSION (2003) und der eher schwache THE HILLS HAVE EYES (2006) waren bereits klar als Märchen erkennbar: Im Kern Geschichten von nicht folgsamen Kindern, die im dunklen Wald oder im Urlaub mit den Eltern den eigenen Monstern begegnen. Das Beste an dem von Aja produzierten P2 (2007) war das Ende, als der Film sich vollständig der fantastischen Stimmung hingibt, den Blick auf die Stadt im Schneegestöber richtet, ganz so, als ob alles in einer dieser faustgroßen Glaskugeln für Kinder stattgefunden hätte, als ob der Regisseur die darin eingeschlossene (vor der Realität abgeschlossene) filmische Welt einfach mal durchgeschüttelt hat, damit die Flocken in ihr tanzen. Auch MIRRORS hat ein ähnliches Ende, bei dem der Protagonist (Kiefer Sutherland), man ahnt es schon sehr früh, hinter den Spiegeln verschwindet. Natürlich gibt es auch zwei, drei heftige Bluteffekte, einer davon ist geradezu viehisch; ein Horrorfilm ist das Ganze doch. Reizvoll ist auch, wie Aja das Geschehen immer wieder durch Spiegel filmt, ohne allerdings gleich mit großem Tara aufzudecken, dass wir nur eine Reflektion gesehen haben.



MONDO CANE: "Dokumentar"-Film als Exploitation

MONDO CANE

Paolo Cavara / Gualtiero Jacopetti / Franco Prosperi

I 1962

DVD, FS, EF (86 min, Woodhaven Entertainment, cut?)

*1/2


Der Albtraum eines jeden Ethnologen: Eine Gruppe italienischer Exploitationfilmer schickt sich an, uns über die Absonderlichkeiten der Menschheit „aufzuklären“. Der Schnitt wirft uns vom Hundezwinger zu afrikanischen Stammesritualen, vom US-amerikanischen Hundefriedhof in ein Korallenatoll, in dem Südseebewohner ihre Toten versenken. Viel Tier- und Menschquälerei und Elend aus der „Hundewelt“ (mondo cane) wird präsentiert, mit süffisant-zynischem Kommentar aus dem Off zusammengekleistert, immer hält die distanz- und gnadenlose Kamera voll drauf. Die Bilder von den Trinkern auf der Reeperbahn zählen wohl zum Unbarmherzigsten, dem ich bislang begegnet bin, und, ohne hier falsche Analogien ziehen zu wollen, diese Inszenierung erinnert, in der Haltung wohlgemerkt, nicht in Bezug auf den Antisemitismus, an den perfiden Kamerablick von Machwerken wie „Der Ewige Jude“ (1940). Interessant ist an diesem Kompendium der Verachtung allenfalls, das es bis zu einem gewissen Maß eine Aufmerksamkeit dafür erzeugt, was Dokumentarfilme normalerweise nicht zeigen. Von allen Bildern, die das Filmteam von Menschen gesammelt hat, sehen wir immer nur die hässlichsten. Immer den Moment, wenn jemand in der Nase bohrt; oder jemanden, der unpassend gekleidet ist; der unserer (westlich-)tradierten Wahrnehmung als ausgesprochen hässlich erscheint. Kurz: all das, was sonst die Pietät geboten hätte, herauszuschneiden, wird hier Perlen an einer Schnur gleich aufgereiht. Würde man das Ganze ernst nehmen, so ließe sich hier nur Menschenverachtung oder besser: Welt- und Menschenhass finden.

Für wen wurde ein solcher, im Übrigen zu seiner Zeit extrem erfolgreicher Film eigentlich gemacht? In den Dreck werden fast alle gezogen. Zugute halten könnte man Jacopetti, Prosperi und Cavara auf den ersten Blick, das sie auch italienischen Aberglauben und religiöse Verstümmelungsrituale ausstellen. Andererseits zeigen sie dies wohl vor allem, weil das Material so leicht zu filmen war (bzw. im Archiv zu finden). Der Rest ist eurozentristische Verachtung den „Wilden“ der „unterentwickelten“ Länder gegenüber, antiamerikanisches wie antideutsches Ressentiment (ungewöhnlicherweise findet sich kein Beitrag über französische „Sitten“ – waren keine Bilder vom Froschenkel-Essen oder Ähnlichem zu erhalten?). Aber das Material aus Italien greift entweder die katholische Kirche an oder es zeigt uns „unterentwickelte“ Süditaliener, was dann auch nicht mehr verwundert. Letztlich nimmt der Film eine überheblich-norditalienische Kleinbürgerlichen-Perspektive ein, die jeder Devianz gegenüber nur Verachtung bereit hält und deren Hass sich, als mondän-dekadente Neugier verkleidet, in einer arroganten Freakshow äußert. Eine ähnliche Geisteshaltung wie hier dürfte dem Kolonialismus vergangener Jahrhunderte zugrunde gelegen haben. Interessant wäre es, herauszufinden, ob „Mondo Cane“ speziell im Süden oder im Norden Italiens erfolgreich war. Ich weiß es nicht. Von den Regisseuren und Drehbuchautoren ist jedenfalls nur Cavara Norditaliener und stammt aus Bologna, Jacopetti wurde im toskanischen Barga und Prosperi in Rom geboren.


Lange vor jeder political correctness entstanden, wurden die Regisseure dieses Prototyps aller modernen „Shockumentaries“ u. a. in Cannes (1962) für die Goldene Palme nominiert und ein Musikstück Riz Ortolanis und Nino Olivieros war 1964 für den Oscar nominiert. Die italienische Filmindustrie verlieh „Mondo Cane“ 1962 den David di Donatello als beste Produktion. Das alles ist im Rückblick fast unfassbar.



Europäische Komödie (I.): LA GRANDE VADROUILLE

LA GRANDE VADROUILLE (DIE GROSSE SAUSE)
Gérard Oury
F-UK 1966
DVD, OmU, Scope (integrale Langfassung aus Frankreich)
***1/2


Bourvil und Louis De Funès in einer europäischen Kriegskomödie, äußerst gut fotografiert und aufwändig inszeniert (besonders prägnant: die vielen Hubschrauber-Einstellungen gegen Ende, als die Protagonisten in zwei Sportgleitern einer Messerschmitt entfliehen). Auffällig sind einerseits die hervorragend ausgewählten Innenräume des Films, von sakralen Bauten wie der Pariser Oper und einem Kirchenlazarett bis hin zu reiner Herrschaftsarchitektur und, am ganz anderen Ende des Spektrums angesiedelt: ein bonbonbunter französischer Landgasthof. Zum Anderen führt uns „die große Sause“, so der deutsche Titel, von Paris ausgehend durch die malerischsten Landschaftsstriche Frankreichs, bis sich schließlich der Eindruck aufdrängt, das französische Tourismusministerium hätte den Film zumindest koproduziert.


Auf der allegorischen Ebene handelt Ourys Film davon, dass die Franzosen unter der deutschen Besetzung lernen müssen, Klassenschranken ebenso wie ihren eigenen Nationalismus zu überwinden: De Funès’ Kapellmeister ist ein arroganter Schnösel, der Bourvils bäuerlich-naiven Anstreicher verachtet, obwohl der ihm immer wieder das Leben rettet. Den drei Engländern, die zusammen außerhalb des besetzten Frankreichs bringen müssen, begegnen sie in ihrer kulturellen Beschränkung mit ebensoviel Misstrauen wie diese ihnen gegenüber an den Tag legen. Je weiter die Handlung voranschreitet, so lernen alle, einander zu vertrauen und gegenseitige Vorurteile abzulegen. Das macht aus dem Film sicherlich kein antifaschistisches Lehrstück, aber so technisch kompetent er gemacht ist, vermag er doch durchgängig zu unterhalten.


Auffällig ist im Vergleich zur in der Regel durchweg bitteren italienischen Komödie, dass die Deutschen hier zwar klar als Feind erkennbar sind, sich ihre Bedrohlichkeit aber im Wesentlichen auf Herumschreien beschränkt. Niemand wird hier gefoltert, kein einziger Mensch stirbt. Selbst wenn die Messerschmitt abstürzt, kann der deutsche Pilot sich noch mit einem Faltschirm retten. Für einen Film, der dann irgendwie zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt, ist das letztlich etwas irritierend.



Schnee und gleißendes Licht: DAY OF THE OUTLAW

DAY OF THE OUTLAW (TAG DER GESETZLOSEN)

André De Toth

USA 1959

DVD, OF, WS, b/w

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Robert Ryan. Schnee. Ein Tal, umgeben von Bergen. Die Landschaft des Western umschließt nur noch, sie fasst ein, begrenzt – ein Gefängnis. In dem kleinen Kaff, in dem der bärbeißige Starrett (Ryan) seine Pfründe zur Not mit der Waffe in der Hand verteidigt, gibt es nur vier Frauen. Starrett/Ryan liebt natürlich die eines anderen. Die würde den auch verlassen, um mit Starrett zu leben. Nur dafür dürfe er den anderen nicht umbringen und müsse sein Land verlassen. Keine Lösung. Doch der Konflikt eskaliert nicht. Vielmehr wird er auf eine höhere Ebene verlagert, als eine Gruppe von Outlaws in dem Kaff ankommt. Die Frauen des Dorfs werden weggesperrt, die Männer entwaffnet. Aus dem von unterkühltem Hass bestimmten Mief des Dorfes wird ein Dampfkochtopf. Die Outlaws wollen die Stadt plündern und über die Frauen herfallen. Nur ihr paramilitärischer Anführer kann sie unter Kontrolle halten. Doch der stirbt langsam an seinen inneren Verletzungen. Ryan/Starrett hat nun nicht mehr einen, sondern eine ganze Gruppe von Gegnern. Er schlägt vor, die eingeschneite Gruppe allein aus dem Tal in die Freiheit zu führen. Er will sich opfern. Und er wird als einziger der Gruppe überleben.

Die Sequenzen im letzten Drittel des Films, als die Gruppe durch die kniehohen Schneemassen zieht, eingehüllt vom Nebel aus kondensierenden menschlichem und tierischen Schweiß, umgeben von einer atemberaubenden Landschaft, dürften das Beste sein, was De Toth im Genre vorgelegt hat. Die Außenaufnahmen im gleißenden Licht der Schneelandschaft müssen ein unglaublicher Aufwand für das Team gewesen sein und selten erschien Schwarzweiß so geeignet für einen Western.

1968 hat Corbucci De Toths Western in einem der besten Italowestern transformiert; in IL GRANDE SILENZIO (I-F 1968), der mit einer ganz ähnlichen Einstellung eröffnet, wie der 50er-Jahre-Film. In jedem Fall bleibt DAY OF THE OUTLAW aber der poetischere Film.



Cops and Robbers: Olivier Marchals GANGSTERS

GANGSTERS
Olivier Marchal
F-B 2002
DVD von Kinowelt, Scope, OmU
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Regiedebüt des Schauspielers Marchal, der bereits zwei Jahre später mit 36 − QUAI DES ORFÈVRES (36 – TÖDLICHE RIVALEN) ein Meisterwerk vorlegen sollte. Marchal dreht Polizeifilme als Gangsterfilme, seine Gangster sind die korrupten Cops. Bemerkenswert ist, dass er, der selbst einmal Polizist war, durchaus kritisch mit seinem Berufsstand umgeht, auch wenn er bisweilen viel (zuviel) Verständnis für den Männerbund aufbringt und stark (zu stark) auf Coolness setzt. Stilistisch sind neben US-amerikanischen Films Noirs Jean-Pierre Melville und Alain Corneau, bisweilen auch Michael Mann offensichtliche Vorbilder. Mit diesen Einflüssen bekommt man ein gutes Bild von GANGSTERS.
Dieses Jahr kommt mit MR 73 Marchals dritter Film in die Kinos. Wenn Marchal weiter mit jedem Film besser wird, dann könnte dies der Film des Jahres werden.

Blut und Hoden: Mel Gibson in PAYBACK

PAYBACK (Director’s Cut)

Brian Helgeland

USA 1999

DVD, Scope, OF

*1/2


Mel Gibson als badass, again.
Laut der Online-Filmdatenbank IMDb ist der Director’s Cut zehn Minuten kürzer als die reguläre Kinofassung und, da ich den ersten Cut nicht kenne, nehme ich einmal an, dass die Helgeland-Version auch besser sein dürfte (polemisch könnte man hinzufügen: insbesondere, da sie kürzer ist und damit die Mischung von reaktionärem Geprügel und Langeweile kürzer ausfällt). Tatsächlich habe ich in den letzten Jahren kaum einen weniger humorlosen, dummen und reaktionären Thriller gesehen, und selbst an Joel Schumachers 8MM (1999) konnte ich etwas finden.


In weitgehend farbentsättigten, blaugrauen Bildern stapft Gibson als Killermaschine Porter durch den Plot und prügelt Frauen, Junkies, Afroamerikaner, Asiaten, überhaupt alles, was einem WASP als fremd oder effeminiert erscheinen mag. Tritt ein junger Dealer mit Dreadlocks auf, so greift ihn sich Porter sogleich an den Haaren und knallt ihn mit dem Gesicht in die Wand. Ein paar Leberhaken später reißt er ihm dann den Nasenring aus dem Gesicht. Kastration droht überall: Die Triaden wollen Gibson/Porter mit einem Springmesser entmannen, er prügelt seine Gegner in die Hoden, Lucy Liu, als SM-Prostituierte besetzt, schwingt die Reitgerte − die phallische Frau als Bedrohung. Natürlich ist der wasserstoffblonde bad guy, der Porter vor Jahren verraten hat und Auslöser des Rachefeldzugs ist, auch sexuell „pervers“. Sadist sei er, aber prügeln lässt er sich auch von Lius Figur. Gibson jedoch ist der einzige echte weiße Mann hier. Eine alte Bekannte, ebenfalls eine Hure (alle Frauen in PAYBACK sind Nutten oder Junkies), sagt einmal zu ihm, er sei der härteste Mann, den sie kenne. Aber ob er auch hart genug sei, das wisse sie nicht. So wird der ganze Film zum Männlichkeitstest des Narziss Gibson. Einmal stiehlt Porter den Ausweis eines dümmlichen Yuppies, der ihm ähnlich sieht, aber auf dem Passfoto lächelt. Gequält versucht Gibson/Porter in die Kamera zu lächeln. Das einzige Mal hat er ein Problem.


Tatsächlich stellt der ganze Blödsinn ein Remake von John Boormans meisterlichem Neo-Noir POINT BLANK (USA 1967) dar. Doch wer eine gute Variation davon sehen will, sollte sich eher Soderberghs intelligenten THE LIMEY (USA 1999) Jahr ansehen.