Samstag, 27. Dezember 2008

The Good, The Bad and the Boring - Ein Jahresrückblick 2008


2008 war kein wirklich gutes Filmjahr, eher ein durchschnittlicher Jahrgang mit vielen mittelmäßigen Filmen, einigen großartigen und einigen bodenlos schlechten.

Da die Popkultur von Listen lebt: hier jeweils in keiner besonderen Reihenfolge meine Tops/Flops des Kinojahrs 2008.


The Good:


CHANGELING (Clint Eastwood, USA 2008) – Eastwood did it again: Ein beeindruckendes Stück dark Americana und ein meisterliches Period Piece zugleich.

EASTERN PROMISES (David Cronenberg, Can-UK-USA 2007) – Trotz Annäherung an den Mainstream wird Cronenberg immer besser. Allein die Kampfsequenz im türkischen Bad dürfte dem Film den Status eines Klassikers verschaffen.

MR 73 (Olivier Marchal, F 2008) – Nicht so gut wie der Vorgänger „36“, aber so viel besser als vieles, was 2008 zu sehen war.

INTO THE WILD (Sean Penn, USA 2007) – Sean Penns vierter Langfilm ist auch sein erstes Meisterwerk: berührend, meditativ, brillant gefilmt.

VICKY CHRISTINA BARCELONA (Woody Allen, E-US 2008) – Das europäische Exil ist Allen wunderbar bekommen: Ein leichter, entspannter Film, auf seine eigene Weise perfekt.

BEFORE THE DEVIL KNOWS YOU’RE DEAD (Sidney Lumet, USA-UK 2007) – Die guten Filme über Amerika dieses Jahres tendierten dazu, to paint it black. Lumet macht da keine Ausnahme. Dass er aber mit 84 Jahren immer noch keine gediegenen Alterswerke inszeniert, sondern seinen klaren, stringenten Thrillern treu bleibt: Hochachtung!

GONE BABY GONE (Ben Affleck, USA 2007) – Ben Affleck kann Regie führen, und wie! Vielleicht die Überraschung des Jahres.

SURVEILLANCE (Jennifer Chambers Lynch, USA-D 2008) – O. K., der Plottwist ist wirklich schwach, aber bis dahin…

THE MIST (Frank Darabont, USA 2007) – Die nur auf DVD veröffentlichte Schwarz/Weiß-Version zeigt, wie gut Darabonts Film auch im Kino hätte sein können.

NO COUNTRY FOR OLD MEN (Joel & Ethan Coen, USA 2007) – Ein Neo-Western nach Cormac McCarthy und, da hat Andrew Sarris gewiss recht; ziemlich nihilistisch. Sei’s drum, das passt doch hervorragend zur Noch-Bush-Ära...

SLEUTH (Kenneth Branagh, USA 2007) – War das nun noch modern, oder schon postmodern?

THERE WILL BE BLOOD (Paul Thomas Anderson, USA 2007) – Vor allem wegen Daniel Day-Lewis und dem bedrohlichen Sound-Design.

TROPA DE ELITE (José Padilha, BRA 2007) – Politisch zwiespältig, aber meisterlich inszeniert.

3:10 TO YUMA (James Mangold, USA 2007) – Eigentlich gefiel mir Andrew Dominiks THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES… besser, aber der lief 2008 schon nicht mehr in unseren Kinos. Mangolds Variation von Delmer Daves’ Westernklassiker ist aber gewiss auch ein würdiger Vertreter des Genres. Das Original mit Glenn Ford bleibt dennoch unerreicht.

THE MIDNIGHT MEAT TRAIN (Ryûhei Kitamura, USA 2008) – Endlich wieder ein Horror-Film ohne Foltereinlagen, zugleich aber blutig und mit Atmosphäre.

L’ADVOCAT DE LA TERREUR (Barbet Schroeder, F 2007) – Ein Dokumentarfilm, der nicht behauptet, endgültige Antworten zu geben, der vielleicht an seinem Untersuchungsgegenstand scheitert, aber nie versucht, die Widersprüche seines äußerst ambivalenten Protagonisten aufzulösen.

ALL THE BOYS LOVE MANDY LANE (Jonathan Levine, USA 2006) – Wirklich nicht so schlecht, wie viele fanden. Eigentlich sogar ziemlich gut…

THE WIRE (Div., USA 2002-2008, TV) – Die Serie, die mit jeder Staffel besser wurde...



… the In-Between:


Gutes Mittelfeld: Filme, die überraschend besser waren, als angenommen oder die eigentlich gut bis sehr gut waren, denen aber doch irgendetwas fehlte:


BURN AFTER READING (Joel & Ethan Coen, USA-UK-F 2008); GRAN TORINO (Clint Eastwood, USA 2008); STANDARD OPERATING PROCEDURE (Errol Morris, USA 2008); QUANTUM OF SOLACE (Marc Forster, UK-USA 2008); REDACTED (Brian De Palma, USA-Can 2007); APPALOOSA (Ed Harris, USA 2008); ANAMORPH (Henry Miller, USA 2007); FROST/NIXON (Ron Howard, USA-UK-F 2008); MIRRORS (Alexandre Aja, USA-RO 2008); THE DARK KNIGHT (Christopher Nolan, USA 2008); DOOMSDAY (Neil Marshall, UK-D-SA-USA 2008); FUTURAMA: THE BEAST WITH A BILLION BACKS (Peter Avanzino, USA 2008) / FUTURAMA: BENDER’S BIG GAME (Dwayne Carey-Hill, USA 2008) (Direct-to-DVD); THE HAPPENING (M. Night Shyamalan, USA-IND 2008); IN BRUGES (Martin McDonagh, UK-USA 2008); IRON MAN (Jon Favreau, USA 2008); YOU DON’T MESS WITH THE ZOHAN (Dennis Dugan, USA 2008); P2 (Franck Khalfoun, USA 2007); CHARLIE WILSON’S WAR (Mike Nichols, USA 2007); MICHAEL CLAYTON (Tony Gilroy, USA 2007); SHINE A LIGHT (Martin Scorsese, USA-UK 2008); SPARROW / MAN JEUK (Johnny To, HK 2008)


…the Boring:


Das untere Mittelfeld: Vielversprechendes, was letztlich doch enttäuschte; insgesamt misslungene Filme mit einzelnen brillanten Momenten; Konfektionsware von Regisseuren, denen nichts Neues mehr einfällt:


SWEENEY TODD: THE DEMON BARBER FROM FLEET STREET (Tim Burton, USA-UK 2007); ZACK AND MIRI MAKE A PORNO (Kevin Smith, USA 2008); SUKIYAKI WESTERN DJANGO (Takashi Miike, JAP 2007); THE DARJEELING LIMITED (Wes Anderson, USA 2007); THE BANK JOB (Roger Donaldson, UK 2008); INDIANA JONES AND THE KINGDOM OF THE CRYSTAL SKULL (Steven Spielberg, USA 2008); TROPIC THUNDER (Ben Stiller, USA-D 2008); I AM LEGEND (Francis Lawrence, USA-AUST 2007); AMERICAN GANGSTER (Ridley Scott, USA 2007)



…and the Bad:


21 (Robert Luketic, USA 2008) – unangefochten mein Hassfilm des Jahres…

BABYLON A. D. (Mathieu Kassovitz, F-USA 2008) – Was ist aus dem Regisseur von LA HAINE geworden?

BE KIND REWIND (Michel Gondry, USA 2008) – Eine schöne Idee, ein paar gute Lacher, aber letztlich leer und langweilig…

HANCOCK (Peter Berg, USA 2008) – Ein überproduzierter Blockbuster; die besten Szenen waren bezeichnenderweise schon im Trailer zu sehen.

JUMPER (Doug Liman, USA 2008) – Kinderkram…

RAMBO (Sylvester Stallone, USA-D 2008) – No story, no scenes, just killing…

RIGHTEOUS KILL (Jon Avnet, USA 2008) – No more words

STREET KINGS (David Ayer, USA 2008) – Umberto Eco schrieb einmal, einige Klischees in einem Film seinen langweilig, 1000 jedoch göttlich. Das stimmt nicht immer.

TAKEN (Pierre Morel, F 2008) – Liam Neeson sieht rot. Achja…

UNTRACEABLE (Gregory Hoblit, USA 2008) – Ästhetisch an SAW und SEVEN angelehnt, gibt Hoblit vor, dem voyeuristischen Publikum den Spiegel vorzuhalten. Was für eine Doppelmoral…

WANTED (Timur Bekmambetov, USA-D 2008) – noch ein Film für Kinder: Jungmann entdeckt Fähigkeiten als Killer. Gesehen und vergessen…

HITMAN (Xavier Gens, F-USA 2007) – Schlimmer als die ganzen Remakes und Comic-Verfilmungen sind nur Videospiel-Adaptionen...

FUNNY GAMES U.S. (Michael Haneke, USA-F-UK-AU-D-I 2007) – Überflüssig.

DER BAADER-MEINHOF-KOMPLEX (Uli Edel, D-F-CZ 2008) – No more words

LA TERZA MADRE (Dario Argento, I-USA 2007) – Wie zu befürchten: alles andere als ein würdiger Abschluss der „Mütter“-Trilogie.



Und zu guter Letzt: Verpasste Filme (die aber noch nachgeholt werden):


BODY OF LIES (Ridley Scott, USA 2008); MY BLUEBERRY NIGHTS (Kar Wai Wong, HK-CH-F 2007); YOU KILL ME (John Dahl, USA 2007); GOMORRA (Matteo Garrone, I 2008); JCVD (Mabrouk El Mechri, BEL-LUX-F 2008); WALTZ WITH BASHIR (Ari Folman, ISR-D-F-USA 2008); HUNGER (Steve McQueen, UK-IR 2008); PUFFBALL (Nicolas Roeg, UK-IR-CAN 2008); MONGOL (Sergei Bodrov, KAZ-MON-RU-D 2007); JULIA (Erick Zonca, F-MEX-USA-BEL 2008)



Samstag, 20. Dezember 2008

"Frohe Weihnachten, Johnny!": Duccio Tessaris UNA PISTOLA PER RINGO

UNA PISTOLA PER RINGO (EINE PISTOLE FÜR RINGO)

Duccio Tessari

I-E 1965

DVD (Koch Media, Deutschland), Scope, OmU

***1/2


Ein Westernstädtchen, zwei Männer schreiten aufeinander zu, langsam und gemessen, die Kamera fängt alles in einer tiefenscharfen amerikanischen Einstellung ein. Voreinander bleiben sie stehen, breitbeinig, die Hände in Hüfthöhe nahe am Revolverholster abgewinkelt; wir kennen das aus unzähligen Western. Aber ein Showdown schon in der ersten Einstellung? Nach einem Moment geben sie sich die Hand: „Buon natale, Johnny!“ – „Buon natale a te!“ [= „Frohe Weihnachten, Johnny!“ – „Auch dir frohe Weihnachten!“].


UNA PISTOLA PER RINGO ist der seltene Fall eines Weihnachtswestern: Mit Christbaum, Geschenken – und, es ist ja ein Italowestern: einem ziemlich gewalttätigen heiligen Abend. Gewiss ist er kein zweiter THREE GODFATHERS (SPUREN IM SAND, USA 1948), auch wenn die Idee von John Fords märchenhaftem Technicolor-Western inspiriert sein mag, der traditionell jedes Jahr zu Weihnachten im Fernsehen läuft und in dem John Wayne, Harry Carey Jr. und Pedro Armendáriz die heiligen drei Könige als Banditen im Wilden Westen verkörpern. Das Sujet, ebenso wie der Ansatz, schon in der ersten Einstellung mit den Konventionen des Genres zu spielen, belegt deutlich Duccio Tessaris Bestreben, eine eigene Vision im Genre zu finden. Der Mann will originell sein, keine Frage.



1965 war der Western all’italiana als kommerziell erfolgreiches Genre noch jung: Im August 1964 war Sergio Leones PER UN PUGNO DI DOLLARI (FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR) in die Kinos gekommen, hatte sich zum Sleeper des Jahres entwickelt und wurde schließlich zu einem der erfolgreichsten Filme des italienischen Nachkriegskinos überhaupt. Tessari, der ungenannt am Drehbuch von Leones Western mitgearbeitet hatte, erhielt bald die Möglichkeit, selbst einen Western zu inszenieren, eben der vorliegende UNA PISTOLA PER RINGO, dem er noch im gleichen Jahr mit IL RITORNO DI RINGO (RINGOS RÜCKKEHR, I-E 1965) eine Variation der Odyssee im Gewand des Italowestern nachfolgen ließ.


Trotz einiger Ähnlichkeiten zu dem ersten Eastwood/Leone-Projekt weicht Tessari deutlich von Leones Vorgabe ab. Sein Held, Giuliano Gemma als Ringo bzw. Angelface (die Titelsequenz kündigt ihn noch unter seinem amerikanisierten Pseudonym Montgomery Wood an), ist eine leichte, ironische Variante des gewalttätigen Eastwood/Leone-Helden. Wir lernen Ringo kennen, als er vor einer Gruppe von Kindern Himmel & Hölle spielt, die Variation eines auf Schulhöfen weit verbreiteten Hüpfspiels. Im Gegensatz zum Eastwood’schen Killer ist er sauber und adrett; ein Kind-Mann, der oft grinst, Milch statt Whiskey trinkt und das Töten als Spiel betrachtet. Wenn der blonde, glattrasierte Angelface spricht, dann fast ausschließlich in Sprichwörtern und ironischen Lebensweisen (etwa: „God created all men equal... but the six gun made them different”). Bisweilen wirkt dieser Trickster wie eine Vorwegnahme der Trinità-Figur, die Terence Hill später bei Enzo Barboni entwickeln sollte. Aber im Gegensatz zu den Bud Spencer/Terence Hill-Komikwestern wird hier noch viel geschossen und gestorben, auch wenn die Action besonders zu Beginn eher zäh inszeniert wirkt, mit Anschlussfehlern und nur wenig Dynamik. Gerade die „kreativen“ Mordmethoden des Schurken (Fernando Sancho) dürften wohl dafür verantwortlich sein, dass der eigentlich harmlose Film bis heute keine Jugendfreigabe erhalten hat: Die bad guys spielen mit ihren Geiseln Russisches Roulette, sie erschießen sie wie Tontauben, während sie mit einem Spiegel zielen oder reihen sie im Kreis um einen Tisch auf, auf den dann ein geladener Revolver geworfen wird. Das sind Momente, denen wir im amerikanischen Western zu dieser Zeit nie begegnen.



In Bezug auf das Tempo orientiert sich Tessari an den Pepla, den Sandalenfilmen, für die er in den frühen 60er Jahren viele Drehbücher verfasst hat. In der italienischen Filmzeitschrift Cineforum erläuterte er später seine Regeln für diese Formelfilme: "Much smoke and fire should be used: a brazier, a burning tent, or a flaming spear are worth more than any dialogue." Ähnlich verfährt er auch hier: Möglichst viel action, möglichst wenig Psychologie – Genrekino als Bewegung um ihrer selbst willen; motion als emotion. Folglich darf Gemma, der seine Filmkarriere als Stuntman begonnen hat, hüpfen und springen, tänzeln und taumeln; der Held als Nachfahre der Zirkusakrobaten.

Besonders in Erinnerung bleiben die Sequenzen in der von den mexikanischen Banditen heimgesuchten Farm (der Hauptschauplatz des Films). Tessari nutzt sie, um die Klassenkonflikte zwischen den Besetzern und den bourgeoisen Besitzern auszuspielen. Die Weihnachtsfeier, bei der die Banditen dann mit ihren Geiseln Champagner trinken und schließlich „Stille Nacht“ singen, bevor sie das Mobiliar zerlegen, erinnert in ihrem surrealen Humor fast an Buñuels Filme.



Der Film ist kürzlich in Deutschland auf DVD erscheinen (bei dem verdienstvollen Label Koch Media): ungekürzt, im richtigen Bildformat und in sehr guter Bildqualität, mit deutscher, italienischer und englischer Tonspur sowie Trailern, einer Bildergalerie und einer informativen Kurzdokumentation. Was will man mehr? Wer also noch auf der Suche nach einem kurzweiligen Kontrastprogramm zum üblichen Feiertagseinerlei ist, der ist hier richtig aufgehoben. Wer es gerne einige Nuancen düsterer hat, sollte sich auch John Hillcoats meisterlichen THE PROPOSITION (2005) ansehen; ein nihilistischer australischer Western, ebenfalls um die Weihnachtszeit angesiedelt.


© aller Bilder bei den jeweiligen Rechteinhabern


Dienstag, 16. Dezember 2008

One louder: THIS IS SPINAL TAP

THIS IS SPINAL TAP

Rob Reiner

USA 1984

DVD, WS, OF

***1/2


Eine Fake-Rockumentary: Intelligent montiert, unterhaltsam, vielleicht ein wenig zu lang geraten, obwohl gerade einmal von 82 Minuten Laufzeit. Aber es akzeptiert ja leider kaum jemand kurze Filme, also solche, deren Geschichte auch gut in dem Bereich zwischen Kurzfilm, also maximal 20-30 Minuten, und Spielfilm passen würde, der üblicherweise so um die 90 Minuten angesetzt ist, plus/minus 10 Minuten, wobei die Skala natürlich nach oben offen ist. Aber spätestens seit den 60er Jahren, als in den Kinos keine Programme mehr liefen, sondern der Spielfilm ohne Vorfilm und Wochenschau, also alleine, das Programm wurde, erscheint alles unter 75 Minuten dubios, ja gar als Betrug am Publikum, das schließlich den vollen Preis zahlen muss. Und ohne Rob Reiner wirklich kritisieren zu wollen – er kann ja wenig für die Zwänge des Marktes, ohne die wir seinen Film nicht sehen könnten – hier wären 60 Minuten wahrscheinlich ideal gewesen.

Die beste Szene des Films ist neben dem unfassbar peinlichen Auftritt einer Stonehenge-Miniatur, über die ich wirklich Tränen lachen musste, wohl die, in der ein Bandmitglied dem (angeblichen) Dokumentarfilmer mit heiligem Ernst die Verstärker der Band präsentiert:

A: „This is what we use onstage. But it's very, very special because, if you can see, the numbers all go to 11. Look. Right across the board: 11... 11... 11...”

Q: „And most amps go up to ten?”

A: „Exactly.”

Q: „Does that mean it's louder?”

A: „Well, it's one louder, isn't it? It's not ten. See, most blokes are gonna be playing at ten. You're on ten here, all the way up, all the way up. You're on ten-where can you go from there? Where?”

Q: „I don't know.”

A: „Nowhere. Exactly! If we need that extra push over the cliff, you know what we do?”

Q: „Put it up to 11.”

A: „Exactly. One louder.”

A: „Why don't you make ten louder, make ten the top number, and make that a little louder?”

Q: […Pause, Unverständnis, Irritation, für einen kurzen Moment erscheint die Möglichkeit, das diese kleine, opake Welt in ihrer Ordnung erschüttert werden könne. Dann, mit fester Stimme, nicht lauter als zuvor, etwa so, als ob man einem etwas blöden Kind etwas erklären müsste…]: „These go to 11.“ Schnitt zum Konzert.


Dienstag, 11. November 2008

Tod, Elend und Slapstick: Monicellis I SOLITI IGNOTI

I SOLITI IGNOTI (etwa: Die üblichen Unbekannten)

(BIG DEAL ON MADONNA STREET / DIEBE HABEN'S SCHWER)

Mario Monicelli

I 1958

DVD (Criterion, USA), FS, OmU, b/w

*****


Eine weitere Komödie italienischer Art von Monicelli, an der sich gut die Berührungspunkte von Neorealismo und Commedia all’italiana in den 50er Jahren belegen lassen. Die Hauptfiguren, bestenfalls Helden des Alltags, sind arme Schlucker, stark typisiert und ihr Lebensumfeld ein zentrales Interesse des Films. Da ist der sizilianische Macho (Tiberio Murgia), der mit extremer Eifersucht über seine Schwester wacht (fast noch schöner als sonst: Claudia Cardinale in ihrer dritten Kinorolle); ein alleinerziehender Vater (Marcello Mastroianni), dessen Frau im Knast sitzt und ein ehrlicher Boxer (Vittorio Gassman), der bei der ersten Gelegenheit zum Dieb wird, damit er nicht arbeiten muss. Hinzu kommen ein komischer Alter (Totò), stets auf der Suche nach Essbarem und ein kleiner Dieb (Renato Salvatori), der sich in die Schwester des Sizilianers verliebt. Mit seiner expressiv agierenden Ensemble-Cast hält Monicelli immer die Wage zwischen Lächerlichem und Tragik, dummdreister Verbohrtheit und verletzter, aber doch intakter Würde. Insbesondere die wunderschöne Carla Gravina als Nicoletta bringt ein utopisches Moment in den Film; eine Hoffnung, für die auch der größte Umweg gerechtfertigt erscheint.


Der Humor des Films reicht von sorgfältig getimtem Slapstick bis zum nahtlosen Übergang von Komik in Schock, wobei die hier stärker als in LA GRANDE GUERRA zur Strukturierung des Films eingesetzten Zwischentitel deutlich auf die frühe Stummfilmkomödie verweisen. Insbesondere der an Dassins DU RIFIFI CHEZ LES HOMMES (1955) angelehnte Caper ist beispielhaft gelungen. Hier geht auch wirklich alles schief, was schiefgehen kann und letztlich bleibt vom intendierten Meisterverbrechen nur ein bloßer Akt des überkompliziert ausgeführten Mundraubs. In einer Nebenhandlung, die den Hauptplot variiert, folgen wir einem glücklosen Dieb bei seinen zahllosen Raubversuchen. Selbst der Versuch, mit vorgehaltener Pistole einen Pfandleiher zu berauben, geht schief: „Weißt du was das ist?“, raunt er drohend, und schiebt die Pistole unter der eingeschlagenen Zeitung heraus. Doch der Pfandleiher langt einfach über den Tresen, reißt ihm die Waffe aus der Hand, mustert sie abfällig und erwidert, sicher wisse er, was das ist; eine kleinkalibrige Beretta, in sehr schlechtem Zustand: „1000 Lire.“ Als wir dem Dieb dann bei seinem nächsten Versuch begegnen, diesmal dabei, mit dem Fahrrad einer Hausfrau die Handtasche zu rauben, erwarten wir eine weitere Slapstick-Szene. Und tatsächlich beginnt die Frau sich sogleich lautstark zu wehren, vertreibt den abermals gedemütigten und verhinderten Dieb. Er dreht sich um, rennt los – und wird direkt von der Straßenbahn erfasst. Schnitt zum Begräbnis. Die italienische Komödie bestimmt, wie schon erwähnt, eine Neigung zur Grausamkeit, oder besser: zur Härte. Lachen und Trauer, Komik, Elend und Tod, Spott und Zuneigung, Verachtung und Wertschätzung, Stärke und Schwäche; all das trennt hier oft gerade mal ein Schnitt. Besonders macht diese Filme ihre wohl auch politisch inspirierte Zuneigung zu den Deklassierten, die hier, ohne sie zu überhöhen oder zu verklären, in all ihrer Schäbigkeit doch als zutiefst menschliche, rührende und gleichsam rührselige Individuen erscheinen. Für die Oberschicht, die Monicellis Anti-Helden berauben wollen, interessiert sich der Regisseur keinen Deut. Für das Drama der einfachen Leute, also der üblichen Unbekannten [= i soliti ignoti], die der Film schon im Titel trägt, aber umso mehr.



Aufstieg zum Misserfolg: THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI

THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI
(DIE BRÜCKE AM KWAI)
David Lean
UK-USA 1957
DVD (Sony Pictures, Deutschland), Scope, OF, restaurierte Fassung
***(*)

Die letzten Worte des Films: „Madness! Madness!“ Und irgendwie beschleicht einen das Gefühl, damit sei weder der Krieg noch die Regelversessenheit der britischen Offizierskaste oder gar die Grausamkeit der japanischen Soldateska gemeint, sondern da würde auch ein wenig Selbstbezichtigung darin liegen. Leans Filmstil schien ab einem gewissen Punkt seiner Karriere nicht mehr ohne gigantischen Aufwand zu rechtfertigen. Auch hier füllt das Statistenheer als Masse den Bildkader aus, die Brücke selbst ist gigantisch, ein echter Zug muss freilich auch her für die letzte Sequenz.
Sicherlich, das ist alles brillant gefilmt, insbesondere die tiefenscharfen Totalen (70mm!), so ganz auf die große Kinoleinwand ausgelegt, dass selbst die Stars mitunter verschwindend klein erscheinen. Andererseits ist es aber auch reichlich grotesk, über eine Stunde dem heroischen Kampf eines britischen Offiziers in japanischer Kriegsgefangenschaft zu folgen, der dafür eintritt, dass britische Offiziere nicht arbeiten müssen – alle anderen seiner Soldaten aber schon. Das ist sicherlich ironisch intendiert, geht es hier doch um das sinnlose Streben zum Höheren. Der große Jean-Pierre Melville sagte einmal in einem Interview: „Es gibt immer eine Brücke am Kwai, die in der Tiefe meines Herzens ruht. Ich mag nutzlose Anstrengungen sehr. Der Aufstieg zum Mißerfolg ist eine ganz und gar menschliche Sache. […] Der Mensch geht von Erfolg zu Erfolg unentrinnbar auf sein letztes Scheitern zu.“ (in: Jean-Pierre Melville, Reihe Film Bd. 27, 1982, S. 85f.). Das ist die philosophisch-allegorische Ebene von Leans Films. Seine Zeichnung der Japaner jedoch ist, sagen wir einmal: ganz der Zeit verhaftet. Nicht, dass die Japaner hier dämonisiert werden würden. Das Problem ist vielmehr, dass sie bis auf den Ranghöchsten Colonel Saito (Sessue Hayakawa) als eine gesichtslose Masse erscheinen und grundsätzlich als inkompetent und unfähig porträtiert werden. Weder der japanische Architekt, noch die Offiziere erscheinen je auch nur ansatzweise fähig, die Brücke zu bauen. Dafür braucht es die „zivilisierten“ Briten. Die haben das nämlich in Indien gelernt. Beim Kolonisieren. Eben.

Es ist LAWRENCE OF ARABIA (1962), Leans Meisterwerk, in dem er viele Motive dieses Kriegsfilms noch einmal bearbeiten sollte und europäisch-westliche Überheblichkeit ebenso wie Motive des Kolonialismus komplexer und ambivalenter thematisieren sollte. LAWRENCE OF ARABIA ist der bessere Film, auch wenn Leans Absicht, mit BRIDGE ON THE RIVER KWAI einen ambivalenten Blick auf die internen Herrschaftsstrukturen (und den Irrsinn) des britischen Empires zu zeichnen, offensichtlich ist.

BRIDGE ON THE RIVER KWAI war nicht nur ein äußerst aufwändiger und erfolgreicher, sondern auch ein immens einflussreicher Film. So hat, um einmal ein eher ungewöhnliches Beispiel für seinen Einfluss anzuführen, Sergio Leone für IL BUONO, IL BRUTTO, IL CATTIVO (1966) einige Einstellungen des Films fast exakt übernommen – natürlich für die Sequenz, in der die von Clint Eastwood und Eli Wallach gespielten Galgenvögel im US-amerikanischen Bürgerkrieg eine Brücke sprengen müssen.

"Once a crook, always a crook": CRIME WAVE

CRIME WAVE

(VON DER POLIZEI GEHETZT)

André De Toth

USA 1954

DVD (Warner Bros. USA), OF, b/w

***1/2


CRIME WAVE ist ein kleiner, in Innenräumen oft erstaunlich hell ausgeleuchteter Noir von André De Toth, mit dem jungen Charles Bronson (damals noch Charles Buchinsky) in einer Nebenrolle als tough guy. Der Film ist fast durchgängig on location in Los Angeles fotografiert (was den Neo-hardboiled-writer James Ellroy im Audiokommentar auf der US-amerikanischen DVD mehrfach zu irritierenden Ausbrüchen verleitet). Insbesondere der einleitende Tankstellenüberfall ist realistisch, schnörkellos und für die damalige Zeit äußerst kaltschnäuzig inszeniert: Für eine Tankfüllung Benzin und einige Dollars wird kurzerhand ein Polizist erschossen. Hier belegt die Inszenierung De Toths Talent für ökonomisches Erzählkino von höchster Präzision: Trotz geringer Mittel ist kein Schnitt unbegründet, kein Meter Film zuviel wird verschwendet. Der folgende Plot wurde schon hunderte Male verfilmt, aber bis zu einem gewissen Maß ist er die Essenz des Nachkriegs-Noir: Ein Unschuldiger (Gene Nelson), der in der Vergangenheit Schuld auf sich geladen hat, sie aber längst abgebüßt hat, wird von den alten Kumpanen wider Willen zurück ins Verbrechen gezogen. Sterling Hayden ist der harte Cop, der nach der Maxime „Once a crook, always a crook“ verfährt, und die Misere bis zum abrupt-unglaubwürdigen Happy End noch vorantreibt.

Letztlich sind es allumfassende Schuldgefühle, die sich im Dilemma der Hauptfiguren dieser Filme veräußerlichen. Einer soziologisch geprägten Lesart wäre es ein Leichtes, hier ein Echo der Wahrnehmung der Weltkriegsveteranen wieder zu finden: Das Gefängnis war der Krieg, die Rückkehr in die Gesellschaft problematisch, ihre Institutionen feindlich und über der gesamten Gegenwart hängt die Schuld von allem, was man im Krieg getan hat.


Montag, 10. November 2008

Rote Telefone: Duccio Tessaris L'UOMO SENZA MEMORIA

L’UOMO SENZA MEMORIA

(DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS)

Duccio Tessari

I 1974

DVD (Koch Media, Deutschland), WS, OmU

***1/2


Ein Giallo von Duccio Tessari und Drehbuchautor Ernesto Gastaldi, beide höchst produktive Professionals des italienischen Genrekinos in den 60er und 70er Jahren. Wie Martinos LA CODA DELLO SORPIONE (wo Gastaldi Kodrehbuchautor war) beginnt auch dieser Film in einer „exotisch-mondänen“ Location Europas, hier die Finanzmetropole London, in der sich der Titelgebende „Mann ohne Gedächtnis“ (Luc Merenda) aufhält. Durch die Manipulationen eines ehemaligen Partners, ihm als Folge seines Gedächtnisverlusts natürlich nun unbekannt, wird er in die Provinz Mailand gelockt, wo ihn seine Frau (Senta Berger) erwartet.


Abgesehen von dem wie so oft hölzern agierenden Luc Merenda sind die Schauspieler angenehm kompetent. Auch sonst weicht der Film stärker als etwa Martinos quasi-epigonale Varianten von der durch Argentos Thriller etablierten Formel ab: kein Mörder mit schwarzen Handschuhen, keine übermäßig subjektive Kamera, wohl aber eine undurchschaubare Intrige (die das Publikum allerdings schnell erahnen mag) und eine extra-unglaubwürdige Auflösung. Wie so oft ist aber auch hier die Welt, in der dieser Giallo spielt, die des gehobenen Bürgertums. Da hat sich das Ehepaar in New York kennengelernt, man reist eben mal nach London zum Shoppen, der J&B-Whisky – damals wohl äußerst populär in Italien und häufig in diesen Thrillern zu sehen – wird mehrmals einem Statussymbol gleich präsentiert. Das Haus von Bergers Protagonistin ist mit Antiquitäten, Rattanmöbeln und Perserteppichen ausgestattet, moderne Gemälde mit bunten Farbflächen zieren die Wände. Böswillige Kritiker tauften diesen Typ Giallo in Anlehnung an die in der Oberschicht angesiedelten Komödien des Faschismus, die sogenannten Telefoni bianchi [= weiße Telefone], auf den Namen Telefoni rossi.


Ein besonderer Reiz des Films liegt in seiner visuellen Gestaltung, wobei besonders enorme Weitwinkel-Totalen und extreme Details auffallen. So füllt urplötzlich eine Mundpartie den gesamten Bildkader aus, und immer wieder wird die Kamera in auffälliger Untersicht positioniert. Manche Einstellungen sind von fast singulärem Innovationswillen, so etwa die mittels eines extremen Teleobjektivs gefilmte Einstellung, in der ein kleiner Junge alleine in den Gruppenduschen eines Schwimmbads steht und diese durch die reduzierte Tiefenschärfe wie eine Art Kinder-Waschstraße wirkt. Ein ähnliches Bild findet Kameramann Giulio Albonico am Anfang in London, wenn er Merenda durch die identischen Vorbauten der lokaltypischen weißen Reihenhäuser hindurch filmt. In solchen Momenten scheinen die Figuren ihrer Umwelt gänzlich entfremdet, verloren und isoliert in einer kalten Moderne. Einige äußerst gewalttätige Sequenzen, zu dieser Zeit geradezu unvermeidbar in einem italienischen Thriller, bietet Tessari dem Publikum natürlich auch. Und am Ende schwingt – tatsächlich – Senta Berger die Kettensäge! Alleine das macht den Film sehenswert.

Regression: Otto Premingers BUNNY LAKE IS MISSING

BUNNY LAKE IS MISSING

(BUNNY LAKE IST VERSCHWUNDEN)

Otto Preminger

UK 1965

DVD (Sony Pictures, USA), Scope, OF, b/w

***


Robert Aldrichs WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE? (1962) und HUSH … HUSH, SWEET CHARLOTTE (1964), später dann die Aldrich-Produktion WHAT EVER HAPPENED TO AUNT ALICE? (1969) und Otto Premingers BUNNY LAKE IS MISSING: Die Regression von Erwachsenen unter der Bürde frühkindlicher Traumata als Trend im Kino der 60er Jahre, exemplifiziert in einer Reihe von Camp-Filmen anerkannter Regisseure. Fast alle dieser Filme sind in kontrastreichem Schwarzweiß fotografiert, nahezu von der Qualität „klassischer“ Noir-Lichtsetzung. Sie tragen weibliche Kose- oder Kindernamen im Titel und stellen Frauenfiguren ins Zentrum der Handlung, die oft von Familienangehörigen gequält und in den Wahnsinn getrieben werden. Das Melodram als Horrorshow: Melo goes Madhouse.


… BUNNY LAKE ist vielleicht der schwächste unter den angeführten Titeln, aber er ist gewiss kein schlechter Film. Zusammen mit Saul Bass’ gewohnt gutem Vorspann (eine Hand reißt die Leinwand methodisch in Fetzen) stechen insbesondere Nebenrollen und set pieces heraus. Wo Aldrich oppressive Kamerawinkel, ornamentale Bilder und harte Schnitte wählt, da ist die Kamera bei Preminger zumindest zu Beginn in fast jeder Einstellung in Bewegung: soghaft fließende, schweifende Erkundungen einer filmischen Welt, in der nur Wenig ist, was es scheint. Im Gegensatz zu Aldrich sind es nicht die staubigen oder sumpfigen Einöden Amerikas oder die adrette Fassade Suburbias, sondern das London der Swinging Sixties, in dem das moderne Schauermärchen angesiedelt ist. The Zombies machen die Musik dazu.

Aber es ist nicht London, von dem wir ganz touristisch Big Ben und Piccadilly Circus sehen, sondern die Innenräume, die dem Film seine eigentliche Kraft geben. Die Kindertagesstätte: hell, aber dubios; die Kammern einer hexenhaften Alten darüber; der aufdringliche Nachbar (herausragend schmierig: Noel Coward) in seiner höhlenhaften Behausung, umgeben von einer Sammlung afrikanischer Masken, Peitschen und Schädel – die beiden letzteren angeblich vom Marquis De Sade höchstselbst. Später dann ein Raum voller Tieren in Käfigen, ein geradezu barockes britisches Pub, eine Puppenklinik mit einem wunderlichen Alten und ein Krankenhaus mit langen Schatten und einem dunklen Keller voller dröhnender Maschinen. Ganz am Ende entführt uns Preminger in einen nächtlichen Garten, in dem Erwachsene auf Schaukeln schwingen, Verstecken spielen und ganz reale Gräber ausheben. Was bei Aldrich zum Grand Dame Guignol oder Southern Gothic wird, ist bei Preminger vor allem die Erwachsenenwelt mit Kinderaugen gesehen. Das erscheint schlussendlich, obwohl im Finale fast lächerlich campy überzogen, durchaus konsequent.



Donnerstag, 23. Oktober 2008

Bitteres Lachen: Mario Monicellis LA GRANDE GUERRA (europäische Komödie II.)

LA GRADE GUERRA
(MAN NANNTE ES DEN GROSSEN KRIEG)
Mario Monicelli
I-F 1959
DVD, Scope, OmU, s/w
****1/2


Mario Monicelli zählt zu den Meistern der Commedia all’italiana, der Filmkomödie Italiens, die insbesondere in den 50er und 60er Jahren beim Publikum äußerst erfolgreich war. In vieler Beziehung weicht die italienische Komödie von anderen nationalspezifischen Varianten Europas ab. Stärker an die Wurzeln des europäischen Stegreiftheaters zurückgehend, ist sie oft vulgär und proletarisch, ihre Protagonisten amoralisch und stereotypisiert, die Hauptfiguren bestenfalls Anti-Helden. Der schwarze Humor und die absurde Spiegelung der Realität ist ihre Domäne. Monicelli hat in einem Interview einmal seine historischen Komödien wie folgt charakterisiert: „All Italian comedy is dramatic. The situation is always dramatic, often tragic, but it's treated in a humorous way. But people die in it, there's no happy ending. That's just what people like about it. It deals with death, hunger, poverty, illness“. Der spezifisch „italienische“ Humor dieser Filme gründet dabei in der Vermischung von Komik, Melodramatik, Politik und Horror; alles vom riso amaro, dem bitteren Lachen, geeint. Das Italien-Lexikon beschreibt die von dem Autorenteam Age & Scarpelli geschriebenen Komödien, die auch die Koautoren von LA GRADE GUERRA sind, entsprechend als "oft noch hoffnungsloser als die neorealistischen Filme […] Die Personen werden meist von der Geschichte gebeutelt und haben unwiderruflich jedes bürgerliche Ideal verloren […]. Die Komödie auf italienisch setzt den Mißerfolg, das Lächerliche und Formen des Elends in Szene". Der Semiotiker Jurij M. Lotman hat an Pietro Germis Komödien die italienische Tradition dieser Filme herausgestrichen, deren Zynismus nicht selten ausländische Zuschauer schockierte:

"Hier sollte man sich an die Sprache des Puppentheaters und der commedia dell'arte erinnern, in denen der Tod eine komische Episode, der Mord eine Buffonade und das Leiden eine Parodie sein kann. Die Härte des italienischen [...] Volkstheaters steht in unmittelbarer Beziehung zu seiner Konventionalität. Der Zuschauer ist sich dessen bewußt, daß auf der Bühne Puppen oder Masken agieren, und empfindet ihren Tod oder ihre Leiden [...] im Sinne einer rituellen Maskerade. [...] [Doch] die plebejisch grobe, marktschreierische Sprache [...] [dieser] Filme birgt nicht weniger Möglichkeiten sozialer Kritik als der [...] Stil der Individualisierung des Schauspielers und der Humanisierung der Bühne."

Mit ihrer Mischung aus Komik und Tragik wäre die italienische Komödie gewiss aus Platons Ideal-Staat ausgewiesen worden, für den der Philosoph doch die Reinheit der Kunst vorsah – wenn die italienische Komödie eines ist, dann von erfrischender Unreinheit.


„Ho lasciato la mamma mia / l’ho lasciata per fare il soldà“ – „Ich habe meine liebe Mama verlassen / ich verließ sie, um Soldat zu werden“. LA GRADE GUERRA eröffnet mit dieser melancholischen Soldatenweise Nino Rotas, doch schon die Bilder stellen sich dazu in boshaften Kontrast: Stiefel stapfen durch Schlamm, der Titel „der große Krieg“, gemeint ist der Erste Weltkrieg, erscheint zum Blick in eine graue Eintopfsuppe, eine dreckige Hand schneidet einen Laib Weißbrot, eine Feldflasche wird aufgefüllt, Zigaretten gerollt, Postkarten beschriftet, ein Knopf angenäht, dann abermals Stiefel, die bandagiert werden, um sogleich wieder durch den Schlamm zu marschieren. Eintönigkeit, Entindividualisierung, Langeweile. Einmal heißt es in diesem Film, der Krieg würde vor allem aus Warten bestehen; dem Warten in durchnässter Kleidung auf die Essensration, die sowieso nie kommt; auf die Heimat, die man unfreiwillig verlassen hat; auf das Kriegsende, das man sowieso nicht erleben wird. Heldentum werden wir in diesem Film nicht zu sehen bekommen. Und wenn die Protagonisten einmal – wohlgemerkt: aus Trotz und Unwissenheit – ein militärisches Geheimnis bewahren, so müssen sie es bitter bezahlen.


Die von Alberto Sordi und Vittorio Gassman gespielten „Helden“, ein Römer und ein Mailänder, sind vor allem fessi, Idioten, aber ihr Drückebergertum erscheint in jedem Fall vernünftiger als falscher Heroismus. Und es sind gerade ihre Kleinlichkeiten und unnützen Streitereien, die sie menschlich und uns sympathisch machen. Umso grausamer wirkt es, wenn Monicelli sie kurz vor dem Ende des Films nonchalant nacheinander in distanzierenden Totalen von den Österreichern füsilieren lässt. Der Epilog ist dann vielleicht wirklich zynisch: Ein ehemaliger Vorgesetzter sieht inmitten des Schlachtens die Leichen der beiden: „Sogar diesmal kommen diese Faulenzer einfach davon!“, so sein Kommentar. Die Kamera steigt in die Höhe, die Soldatenmassen rennen weiter in den Tod. Fine. Der Effekt ist niederschmetternd und auch dies unterscheidet Monicellis Filme zusammen mit einigen anderen italienischen Komödien so stark von deutschen und amerikanischen Vertretern des Genres: Außer den Italienern hat niemand die Frechheit (bzw. den Mut), seine Komödie damit zu enden zu lassen, dass der Hauptprotagonist mit einem Mord durchkommt (wie in DIVORZIO ALL’ITALIANA / SCHEIDUNG AUF ITALIENISCH, 1961), totgeprügelt wird (wie in Wertmüllers FILM D’AMORE E D’ANARCHIA… / LIEBE UND ANARCHIE, 1973), oder eben wie hier standrechtlich erschossen wird.

Auch formal ist Monicellis aufwändig produziertes Werk durchaus beeindruckend: Das Scope-Format wird oft bis ganz an den äußersten Rand ausgenutzt, die Schwarzweiß-Fotografie ist kontrastreich und immer wieder finden sich flüssige oder gänzlich statische Plansequenzen (etwa die nach ca. einer Stunde im Film in der Notunterkunft). Die Massenchoreografie ist so effektiv wie der Humor boshaft und gegen jede Organisation gerichtet ist: Ein junger Soldat stirbt, weil er ein versiegeltes, also vermeintlich wichtiges Schreiben durch die feindlichen Linien trägt – tatsächlich sind es nur Weihnachtsgrüße der Offiziere untereinander. Ein anderer übernimmt für wenige Lire jede Selbstmordmission, um Geld für Frau und Kind zu sammeln. Er stirbt schließlich bei einem „normalen“ Einsatz; also umsonst. Wieder ein anderer schwingt große Reden darüber, dass Arbeiter wie er an der Heimatfront gebraucht werden würden – es stellt sich raus, dass er im Zivilleben Friseur ist. Und grundsätzlich ist hier jeder, der sich in Monicellis absurd und zugleich oft realistisch gezeichneter Kriegswelt an die Regeln hält, der wahre Idiot. Mittendrin dann ein ausgesprochen poetischer Moment: Eine junge Hure hat keine Lust mehr, von den Soldaten wie Dreck behandelt zu werden und schmeißt ihren Beruf hin. Ein Soldat bekommt dies mit und macht ihr daraufhin den Hof, ganz so, als ob sie eine echte Dame wäre. Beide spielen das Spiel bis zu Ende und doch ist beiden klar, dass sie dem jeweils Anderen eine Rolle vorspielen – und dass der das auch weiß. Nach der gemeinsamen Nacht stiehlt sie ihm trotzdem das Portemonnaie. Später im Film treffen sie sich dann wieder. Sie hält ihn mit einer Handgranate (!) in Schach, gibt ihm aber schließlich seine Brieftasche wieder, da er darin ein Kinderbild aufbewahrt. Sie nimmt an, es müsse das seines Sohns sein. Er: Das bin ich als Kind. Sie: Welcher Idiot läuft mit seinem eigenen Kinderbild herum? Fesso!

LA GRANDE GUERRA und Monicellis L'ARMATA BRANCALEONE (1966) nahmen in vieler Beziehung Trends vorweg; den absurden Humor in Richard Lesters MUSKETEERS-Filmen (1973/74) und ROYAL FLASH (1975) ebenso wie Leones ahistorischen Behandlung des US-amerikanischen Bürgerkrieges und der Mexikanischen Revolution in IL BUONO, IL BRUTTO, IL CATTIVO (1966) und GIÙ LA TESTA (1971), natürlich auch Monty Pythons Genreparodien in den 70ern.