Montag, 10. November 2008

Rote Telefone: Duccio Tessaris L'UOMO SENZA MEMORIA

L’UOMO SENZA MEMORIA

(DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS)

Duccio Tessari

I 1974

DVD (Koch Media, Deutschland), WS, OmU

***1/2


Ein Giallo von Duccio Tessari und Drehbuchautor Ernesto Gastaldi, beide höchst produktive Professionals des italienischen Genrekinos in den 60er und 70er Jahren. Wie Martinos LA CODA DELLO SORPIONE (wo Gastaldi Kodrehbuchautor war) beginnt auch dieser Film in einer „exotisch-mondänen“ Location Europas, hier die Finanzmetropole London, in der sich der Titelgebende „Mann ohne Gedächtnis“ (Luc Merenda) aufhält. Durch die Manipulationen eines ehemaligen Partners, ihm als Folge seines Gedächtnisverlusts natürlich nun unbekannt, wird er in die Provinz Mailand gelockt, wo ihn seine Frau (Senta Berger) erwartet.


Abgesehen von dem wie so oft hölzern agierenden Luc Merenda sind die Schauspieler angenehm kompetent. Auch sonst weicht der Film stärker als etwa Martinos quasi-epigonale Varianten von der durch Argentos Thriller etablierten Formel ab: kein Mörder mit schwarzen Handschuhen, keine übermäßig subjektive Kamera, wohl aber eine undurchschaubare Intrige (die das Publikum allerdings schnell erahnen mag) und eine extra-unglaubwürdige Auflösung. Wie so oft ist aber auch hier die Welt, in der dieser Giallo spielt, die des gehobenen Bürgertums. Da hat sich das Ehepaar in New York kennengelernt, man reist eben mal nach London zum Shoppen, der J&B-Whisky – damals wohl äußerst populär in Italien und häufig in diesen Thrillern zu sehen – wird mehrmals einem Statussymbol gleich präsentiert. Das Haus von Bergers Protagonistin ist mit Antiquitäten, Rattanmöbeln und Perserteppichen ausgestattet, moderne Gemälde mit bunten Farbflächen zieren die Wände. Böswillige Kritiker tauften diesen Typ Giallo in Anlehnung an die in der Oberschicht angesiedelten Komödien des Faschismus, die sogenannten Telefoni bianchi [= weiße Telefone], auf den Namen Telefoni rossi.


Ein besonderer Reiz des Films liegt in seiner visuellen Gestaltung, wobei besonders enorme Weitwinkel-Totalen und extreme Details auffallen. So füllt urplötzlich eine Mundpartie den gesamten Bildkader aus, und immer wieder wird die Kamera in auffälliger Untersicht positioniert. Manche Einstellungen sind von fast singulärem Innovationswillen, so etwa die mittels eines extremen Teleobjektivs gefilmte Einstellung, in der ein kleiner Junge alleine in den Gruppenduschen eines Schwimmbads steht und diese durch die reduzierte Tiefenschärfe wie eine Art Kinder-Waschstraße wirkt. Ein ähnliches Bild findet Kameramann Giulio Albonico am Anfang in London, wenn er Merenda durch die identischen Vorbauten der lokaltypischen weißen Reihenhäuser hindurch filmt. In solchen Momenten scheinen die Figuren ihrer Umwelt gänzlich entfremdet, verloren und isoliert in einer kalten Moderne. Einige äußerst gewalttätige Sequenzen, zu dieser Zeit geradezu unvermeidbar in einem italienischen Thriller, bietet Tessari dem Publikum natürlich auch. Und am Ende schwingt – tatsächlich – Senta Berger die Kettensäge! Alleine das macht den Film sehenswert.

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