Mittwoch, 28. Dezember 2011

Two Mules for Madame Simza: Guy Ritchies zweites "Sherlock Holmes"-Abenteuer A GAME OF SHADOWS



"Sherlock Holmes – Spiel im Schatten"

("Sherlock Holmes: A Game of Shadows"; USA 2011; Regie: Guy Ritchie)

Kurz vor Weihnachten kommen traditionell nur wenige Großproduktionen in die deutschen Kinos. Kaum ein Verleih will sein Pulver verschießen, während das Publikum die letzten Weihnachtseinkäufe erledigt und sich auf die Völlerei und Quengelei unterm Tannenbaum und den alljährlichen Kirchbesuch vorbereitet. Die Fernsehsender bieten zudem alles an Spielfilmen auf, um Alt und Jung zuhause zu halten. Und so starten am 22. Dezember dieses Jahres wieder vor allem romantische Komödien und Kinderfilme, auch ein Dokumentarfilm namens "Abendland" von Nikolaus Geyrhalter ist dabei, den der Verleih als "ein Filmpoem über einen Kontinent bei Nacht" anpreist; also ein eher verkopfter Stoff, der von vorneherein keine Chance hat, ein größeres Publikum zu finden und der hier verheizt wird. George Clooneys Politthriller "The Ides of March" dürfte ebenfalls wegen seines für deutsche Zuschauer eher unattraktiven Themas, den "Primaries" des US-amerikanischen Vorwahlkampfs, hier positioniert worden sein. Der einzige dicke Fisch ist "Sherlock Holmes: A Game of Shadows" ("Sherlock Holmes – Spiel im Schatten")

Sonntag, 11. Dezember 2011

Film policier: POLISSE von Maïwenn



„Poliezei“

(„Polisse“; F 2011; Regie: Maïwenn)


Ein junges Mädchen erzählt mit flehendem Blick, ihr Vater habe sie lieb, „zu lieb“. Eine 14-Jährige prostituiert sich für ein Handy und kann nichts Falsches dabei erkennen – immerhin war es ja ein Smartphone, für das sie ihren Schulkameraden einen geblasen hat. Eine drogensüchtige Mutter entführt ihr Kleinkind aus der Kinderkrippe, beim Betteln fällt es ihr auf den Boden und wird schwer verletzt. Tagtäglich werden die Polizisten der Pariser Jugendschutzabteilung mit unfassbarem Elend konfrontiert: Verwahrlosung und familiäre Gewalt, bandenmäßig organisierte Jugendkriminalität, sexueller Missbrauch, Inzest und Kinderpornografie. Während Abteilungsleiter Balloo (Frédéric Pierrot) sich mit bürokratischen Vorgesetzen einen Kleinkrieg um Finanzmittel liefert, wird der Abteilung die junge Fotografin Melissa (Maïwenn) zugeteilt, die deren Arbeit dokumentieren soll. Nach anfänglichen Spannungen von der Gruppe akzeptiert, begleitet Melissa die Sondereinheit in den nächsten Wochen und lernt die Abgründe der französischen Gesellschaft kennen.

Dienstag, 10. Mai 2011

Wo die wilden Kerle wohnen ... THOR von Kenneth Branagh



„Thor“

(„Thor“; USA 2011; Regie: Kenneth Branagh)


Augenzucker aus Hollywood, kandiert und glasiert, glitzernd und strahlend: Kenneth Branagh, bekannt als Theatermime und für seine Kinoadaptionen von Shakespeare-Stücken wie „Henry V“ (1989), Much Ado About Nothing“ („Viel Lärm um nichts“; 1993) und „Hamlet“ (1996), hat sich an einen Superheldenfilm gewagt. Und, wider Erwarten, ist ihm das ziemlich gut gelungen.

Die Dialektik von Herr und Magd – HANYO von Sang-soo Im



„Hanyo“

("Das Hausmädchen"; Regie: Sang-soo Im; Südkorea 2010)


Eine junge Frau nimmt eine Stelle als Hausmädchen bei einer reichen Familie an. Eun-yi (Do-youn Jeon) ist schön, aber auch naiv, und, wie die Exposition zeigt, wohl auch etwas zu neugierig. Ihre wohlhabenden Arbeitgeber dagegen, die Gohs, sind blasiert, gelangweilt, distinguiert. Der Hausherr Hoon (Jung-jae Lee) trägt teure Hemden und trinkt noch teureren Wein, seine schöne, aber launische Frau Hae-ra (Woo Seo) ist schwanger mit Zwillingsmädchen. Eine Tochter haben beide schon, die junge Nami (Seo-hyun Ahn), um die sich Eun-yi kümmern soll. Manche haben eben alles, andere fast nichts.

Mittwoch, 6. April 2011

Enter the posthistoire … - SUCKER PUNCH von Zack Snyder



„Sucker Punch”

(„Sucker Punch“; Regie: Zack Snyder; USA-CAN 2011)


Im Fernsehen gibt es keine Videoclips mehr. Bevor MTV zum Bezahlsender umfunktioniert wurde, liefen selbst hier nur noch „Jackass“ und „South Park“, debile Datingshows und „Pimp-my“-Was-auch-immer-Formate in Dauerschleife. Angesichts dieser offensichtlichen Lücke erbarmt sich manchmal das Kino mit Filmen wie „Sucker Punch“. In vieler Weise wirkt Zack Snyders Film wie eine Zeitreise zurück in die 1980er Jahre, als Regisseure wie Adrian Lyne mit Filmen wie „Flashdance“ (1983) Musikvideos im Spielfilmformat produzierten – oder wahlweise Videoclips auf Spielfilmlänge aneinander reihten. Snyder ist nur konsequent, wenn er „Sucker Punch“ neben einem Nichts an Alibirahmenhandlung als reine Nummernrevue strukturiert, deren an Videospiele angelehnte Einzelclips als Tagtraum der Heldin „Baby Doll“ (Emily Browning) ausgegeben werden.

Sonntag, 20. März 2011

Interview mit Lou Castel in Splatting Image # 85



Interview mit Lou Castel

Seit Mitte März 2011 ist die neue Ausgabe der “Splatting Image”, des Berliner Magazins für den unterschlagenen Film, erhältlich – inklusive eines langen Interviews, das ich mit dem Schauspieler und Regisseur Lou Castel geführt habe.

Old school: "Faster" von George Tillman Jr.


"Faster"

("Faster"; Regie: George Tillman Jr.; USA 2011)


Im Werk von John Ford gab es einen heimlichen Star, den das große Publikum nie richtig wahrnahm. Der 1914 geborene Woody Strode war Profi-Football-Spieler und Wrestler, bevor er Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre zum Film kam und zunächst in Nebenrollen auftrat. Für Ford, mit dem er eng befreundet war, spielte er in den 60er Jahren den aufrechten "Sergeant Rutledge" ("Mit einem Fuß in der Hölle"; 1960), den muskulösen Comanchen Stone Calf in "Two Rode Together" ("Zwei ritten zusammen"; 1961) und John Waynes loyalen Assistenten Pompey in "The Man Who Shot Liberty Valance" ("Der Mann, der Liberty Valance erschoss"; 1962). Eine eindrucksvolle Nebenrolle hatte Strode in "Spartacus" (1960), in dem er den äthiopischen Gladiator Draba spielte. Danach verschlug es den 1,93 Meter großen Athleten für einige Filme nach Europa, wo er in der Exposition von Sergio Leones "C’era una volta il West" ("Spiel mir das Lied vom Tod"; 1968) seinen ersten wirklich großen Auftritt erhielt. In den folgenden Jahren wurde Strode zur Ikone vordergründig harter Männlichkeit, hinter deren Fassade doch immer die Sensibilität des Außenseiters zwischen den Kulturen durchschien. Der Sohn afroindianischer Eltern mit dem markanten, kahlgeschorenen Schädel und der herkulischen Physis trat in B-Pictures von Fernando di Leo auf, etwa in "La Mala Ordina" ("Der Mafia-Boss – Sie töten wie Schakale"; 1972), er spielte einen an Lumumba angelehnten Politiker in Valerio Zurlinis "Seduto alla sua destra" ("Töten war ihr Job"; 1968), der in den USA als "Black Jesus" verliehen wurde. Eine seiner letzten Rollen hatte er als 80jähriger in Mario Van Peebles' postmodernem Western "Posse" (1993), in dem er der MTV-Generation eine Geschichtslektion über die vergessenen afroamerikanischen Cowboys erteilen durfte.

Dwayne "The Rock" Johnson ähnelt Woody Strode in vieler Weise

Film Stupid: „Drive Angry 3D“ von Patrick Lussier

 
„Drive Angry“

(„Drive Angry 3D“; Regie: Patrick Lussier; USA 2011)

Nicolas Cage braucht Geld. Viel Geld. Anders lässt es sich kaum erklären, dass der mittlerweile 47-jährige Schauspieler in den letzten Jahren nicht nur omnipräsent im Kino ist, sondern abgesehen von Ausnahmen wie „Bad Lieutenant – Port of Call New Orleans“ (2009; Werner Herzog) und dem poppig-verspielten „Kick-Ass“ (2010; Matthew Vaughn) fast durchgehend in Filmen auftritt, die stupend blöde sind. Filme wie „Season of the Witch“ („Der letzte Tempelritter“; Dominic Sena, 2011), „The Sorcerer's Apprentice“ („Duell der Magier“; 2010; Jon Turteltaub) und das überflüssige „The Wicker Man“-Remake von Neil LaBute (2006) sind bestenfalls überflüssig, in der Regel aber eine Beleidigung des Publikums. Dabei hatte alles so gut angefangen: mit Filmen wie „Rumble Fish“ (1983) und „Cotton Club“ (1984) von seinem Onkel Francis Ford Coppola, „Birdy“ (1984) von Alan Parker, „Raising Arizona“ („Arizona Junior“; 1987) von den Coen-Brüdern und „Wild at Heart“ (1990) von David Lynch. Irgendwann kamen dann die beiden Über-Hollywood-Produzenten Don Simpson und Jerry Bruckheimer und Filme wie „The Rock“ (1996; Michael Bay) und „Con Air“ (1997; Simon West). Und Cage wurde von Actor zum Overactor zur Comicfigur.

Die Leiden des jungen Xavier: „J'ai tué ma mère“ von Xavier Dolan



„J'ai tué ma mère“
(„I Killed My Mother“; Regie: Xavier Dolan; Kanada 2009)

Hubert Minel (Xavier Dolan) ist 17, schwul und pubertiert heftig. Da er seinen Vater seit Urzeiten nicht mehr gesehen hat, bekommt seine alleinerziehende Mutter seine ganzen Stimmungsschwankungen ab: Wut und Verachtung, blanker Hass und zärtliche Zuneigung, kurz: alles was in ihm rumort. Hubert hasst seine Mutter Chantale (Anne Dorval), Hubert liebt seine Mutter. Er braucht sie, und er will von ihr loskommen. Am besten in die eigene Bude. Und seine Mutter treibt ihn – wie alle Eltern in dieser Zeit – zur Weißglut: Sie ist inkonsequent in ihren Entscheidungen – mal sagt sie, er dürfe ruhig ausziehen, dann untersagt sie es ihm. In einem Moment will sie Familie spielen – Sie: „Frag mich doch mal wieder, wie es auf der Arbeit war?“ – Er: „Wenn irgendwas gewesen wäre, hättest du es doch sowieso erzählt.“ – im anderen schickt sie ihn auf ein Internat, weg von sich und seinem neuen Freund Antonin (François Arnaud). Nun soll er raus aus der Stadt, die er so liebt, aufs Land zu den Hinterwäldlern. Da dreschen sie gutaussehende kleine Schwule, die es wagen, in der Dorfdisko mit anderen Schülern rumzuknutschen, mal einfach so zusammen. Was für eine Misere.

Jahresbestenliste 2010


Die Filmgazette hatte für ihren Kritiker-Poll 2010 um meine Lieblingsfilme des vergangenen Jahres gebeten. So problematisch solche Aufstellungen sind – manchen Film vergisst man; manche hinterlassen einen guten Eindruck, der womöglich keiner zweiten Sichtung stand hält; wieder andere habe ich schlicht verpasst – hier meine Top-10, die allerdings nur Filme beinhaltet, die 2010 in deutschen Kinos zu sehen waren. Ansonsten wären Debra Graniks großartiger „Winter’s Bone“ (USA 2010) und Darren Aronofskys „Black Swan” (USA 2010) ebenfalls auf der Liste vertreten gewesen, die ich bereits 2010 gesehen habe, die beide jedoch erst 2011 bei uns herauskommen.

Sonntag, 30. Januar 2011

COMIN' AT YA! – Berlinale Screening am 12. Februar 2011!



Im Rahmen des „European Filmmarket” veranstalten der Prozent und das US-amerikanische Fanzine „Fangoria“ eine Vorführung des 3-D-Italowesternklassikers „Comin’ at Ya!“ („Alles fliegt dir um die Ohren“; 1981) von Ferdinando Baldi in einer neu restaurierten Fassung.

Bis heute ist „Comin’ at Ya!“ der einzige 3-D-Italowestern. In den USA wurde der 1981 erstaufgeführte Low-budget-Film allem als 3-D-Spektakel vermarktet (Werbezeile: „It’s back! It’s bigger! It’s better! And it’s … Comin’ at Ya!“) und wurde zu einem ungeahnten Kassenerfolg. Tatsächlich war „Comin’ at Ya!“ der maßgebliche Auslöser der ersten großen Welle an 3-D-Filmen seit den 50er-Jahren in den USA. Obwohl er mangels ausreichender 3-D-Brillen nur in 200 US-Kino lief, spielte er laut seinem Produzenten Gene Quintano alleine in Nordamerika 25 Millionen ein (andere Quellen nennen 12 oder 15 Millionen).

Counting Down the Genres ... : Clint Eastwoods HEREAFTER



„Hereafter“
(„Hereafter – Das Leben danach“; USA 2011; Regie: Clint Eastwood)


Clint Eastwood hat sich in seiner mittlerweile 40-jährigen Karriere als Regisseur an fast allen Genres versucht, die das Kino zu bieten hat: Er hat Western gedreht wie „High Plains Drifter“ („Ein Fremder ohne Namen“; 1973) und „Unforgiven“ („Erbarmungslos“; 1992). Er hat Thriller inszeniert, etwa „Play Misty For Me“ („Sadistico“; 1971) oder „The Changeling“ („Der fremde Sohn; 2008), Polizei- und Gangsterfilme wie „Sudden Impact“ („Dirty Harry kommt zurück“; 1983) und „Perfect World“ (1993), einige Kriegsfilme, darunter den ruppigen „Heartbreak Ridge“ (1986) und das düstere Diptychon „Flags of Our Fathers“ / „Letters From Iwo Jima“ (2006), auch Melodramen („Breezy“; 1973), Biopics („Bird“; 1988) und eine Musikdokumentation („The Blues – Piano Blues“; 2003). Selbst eine Sci-Fi-Komödie („Space Cowboys“; 2000), ein Boxer(innen)film („Million Dollar Baby“, 2004) und eine bizarre Mischung aus Berg-, Abenteuer- und Spionagefilm („The Eiger Sanction“ / „Im Auftrag des Drachen“; 1975) finden sich in seiner Filmografie. Mittlerweile sind das 32 Werke, viele gute und sehr gute Filme, manche davon Meisterwerke, wieder andere eher Konfektionsware.

Auf Teufel komm raus …: DEVIL von John Erick Dowdle



„Devil”
(„Devil“; USA 2010; Regie: John Erick Dowdle)

Der Anfang ist wunderschön: Da fliegt Tak Fujimotos entfesselte Kamera über den Delaware River auf Philadelphia zu, setzt über die Benjamin Franklin Bridge hinweg, überfliegt Kirchen, glitzernde Glasfassaden und protzigen Hochhäuser – und dabei steht die ganze Zeit die Welt buchstäblich Kopf. Denn Fujimoto, der höchst begabte Kameramann von u.a. „The Silence of the Lambs“ („Das Schweigen der Lämmer“; 1991) hat seine Kamera um 180 Grad gekippt. Auch inhaltlich passt das, handelt „Devil“ doch von der Anwesenheit des Teufels in unserer heutigen modernen Welt. Und bekanntlich verkehrt der Herr der Fliegen ja alles in sein Gegenteil. Warum also nicht zumindest den Vorspann über die Welt verkehren, das Unterste nach oben stürzen, Himmel und Erde, Nord und Süd, Ost und West vertauschen, bis einem im dunklen Kinosaal vor der großen Scope-Leinwand ganz schwindelig wird?

Männerfantasien: STALAGS von Ari Libsker




„Stalags“
(„Pornografie & Holocaust”; Israel 2008; Regie: Ari Libsker)


„Pornografie & Holocaust“ – was für ein Titel. So subtil wie einige der Exploitationklassiker des italienischen Trashkinos, sagen wir einmal, Joe D’Amatos aka Aristide Massaccesis „Porno holocaust“ („Insel der Zombies“; 1981) oder Cesare Canevaris abseitig-bösartige Geschmacksverirrung „L’ultima orgia del III Reich“ („Gestapo’s Last Orgy“; 1977). Im Original hieß Ari Libskers mit israelischer Filmförderung entstandener Dokumentarfilm seinem Thema gemäß schlicht „Stalags“.