Donnerstag, 13. Mai 2010

Aktuelle Filmkritiken – Melos und RomComs, Actionspektakel und europäisches Arthouse-Kino



Da ich in letzter Zeit recht viel um die Ohren hatte, bin ich leider kaum dazu gekommen, neue Texte für den Blog zu schreiben. Daher nun ersatzweise eine kommentierte Sammlung von Links zu Texten, die ich in letzter Zeit für den Bayerischen Rundfunk bzw. für die Online-Ausgabe von „Kino Kino“ geschrieben habe, das dienstälteste Kinomagazin des deutschen Fernsehen.

Diese Reviews sind tagesaktuelle Kritiken und die Filme rangieren dementsprechend von Werken, die ich mir sonst nie angesehen hätte – bodenloser Mist eingeschlossen ebenso wie echte Überraschungen –, über die übliche Mainstreamunterhaltung bis hin zu echten Perlen – wie das eben so ist, wenn der Zufall, respektive der Terminkalender und/oder der zuständige Redakteur einem die Filme zuteilt.

Beginnen wir mit den Fehlgriffen und Flops. Zu dieser Kategorie zählen definitiv die meisten der Romantic Comedies, oder Neudeutsch: „RomComs“, die ich mir angesehen habe – sowieso ein Genre mit einem Überschuss an retortenhaft angefertigten, lieblosen 08/15-Produktionen. Ein exzeptionell missratenes Beispiel, aktuell noch in den Kinos, ist etwa die Sandra-Bullock-Komödie All About Steve (Verrückt nach Steve; 2009; Phil Traill), die sich nicht entblödet im Originaltitel auf Joseph L. Mankiewicz’ selbstreflexiven Klassiker All About Eve (Alles über Eva, 1950) zu rekurrieren. Der deutsche Verleih stapelt dagegen etwas tiefer und versucht, an Verrückt nach Mary (There’s Something About Mary; 1998; Bobby & Peter Farrelly) anzuschließen, was angesichts der geschmacklosen Behindertenwitze von All About Steve nicht verwundert. Doch bei den Farrelly-Brüdern war das wenigstens mit Tempo und skurrilem Humor inszeniert. Hier ist es nur eine Qual für den Zuschauer. Ausführliche Besprechung auf BR-Online:


Ein ähnlicher Fall ist The Bounty Hunter (Der Kautions-Coup; 2010; Andy Tennant), der den Dauer-Macho Gerard Butler als Kopfgeldjäger mit Jennifer Aniston als Oberzicke zusammenbringt (letztere kann im Gegensatz zum Minimal-Actor Butler wenigstens durchaus witzig sein). Das ist ziemlich lustlos runtergekurbelte Routine, bietet aber immerhin ein paar gute Lacher, die sich allerdings an einer Hand abzählen lassen:


Keine RomCom, aber fast genauso nervtötend und langweilig, ist Kevin Smiths Versuch, eine Buddy-Komödie zu drehen und damit einen Mainstream-Erfolg zu landen: Cop-Out (2010) bestätigt meine Vermutung, dass Smith seit seinem wunderbaren Independent-Debüt Clerks (1994) mit jedem Film konstant schlechter wird (die einzige Ausnahme: der amüsante Chasing Amy von 1997). Lediglich Seann William Scott als alle Welt enervierender Dieb bringt etwas abstrusen Humor in das zotige Flickwerk:

Eine letzte Komödie, die ich besprochen habe, ist noch gar nicht angelaufen: Tandoori Love (2008; Oliver Paulus), ein deutschsprachiger Versuch, Bollywood-Film, RomCom und schweizerischen Heimatfilm zu kreuzen. Ob das funktioniert, kann jeder hier nachlesen:

Wer nun den Eindruck bekommt, ich würde nur Komödien verreißen, der kann sich gerne meine Review von Black Forest (2009; Gert Steinheimer) durchlesen, einem deutschen Horrorfilm (ja, tatsächlich!), der sich u.a. an Sam Raimis großartiger „Splatstick“-Groteske The Evil Dead (Tanz der Teufel; 1982) orientiert und nach gelungenem Anfang leider auf ganzer Linie scheitert. Einen besonderen Trash-Charme kann man dem lieblos hingeschluderten B-Filmchen allerdings nicht absprechen. Besonders die miesen Dialoge sorgen mehrfach für Erheiterung (persönliches Highlight: „Krass, `ne Bretterwand!“ – „Die hat jemand zugebrettert!“). Mitunter verpassen die Akteure auch mal ihren Einsatz und kommen mit den Zeilen durcheinander. Egal, Grimme-Preisträger Gert Steinheimer lässt derartige Sternstunden des deutschen Schauspiels einfach im Film. Review wie gehabt auf BR-Online:

Neben solchen Totalausfällen bietet der aktuelle Film natürlich auch die übliche Durchschnittsware des Mainstream-Actionkinos. Die Luc-Besson-Produktion From Paris With Love (2010) von Pierre Morel (Taken / 96 Hours; 2009) ist z.B. weiß Gott kein Highlight des Kinojahres, aber unterhält immerhin mit unverfrorener Dreistigkeit und lauter Action. Die weiße Überheblichkeit, die John Travoltas Figur (mit Glatze und Henriquatre-Bart äußerst albern zurechtgemacht) beständig auslebt, fällt wie der aggressive Sexismus des Films allerdings negativ ins Gewicht (unter Bessons Regisseuren bestätigt Morel damit nach dem tendenziösen Taken seinen Status als politisch eher rechts stehender Konfektionär):

Ein weiteres, eher comichaftes Spektakel ist die gerade angelaufene Iron Man-Fortsetzung von Fanboy Jon Favreau. Diese ist freilich auf wesentlich höherem Niveau angesiedelt als From Paris With Love und bietet durch die Bank bessere Schauspieler, Ausstattung und Action. Auffällig ist allerdings, dass mit Iron Man 2 ein weiteres aktuelles Produkt der Populärkultur auf eine Kalter-Krieg-Ikonografie zurückgreift und uns mit dem baddie „Whiplash“ (Mickey Rourke) eine Art Angstfantasie des kinderfressenden Russen präsentiert. Da der Film auch in der ehemaligen Sowjetunion sein Geld einspielen soll, übernimmt Scarlett Johansson die Rolle als attraktive und „gute“ russische Spionin, gewissermaßen das Antidot zur fiesen Russenkarikatur, und alles verbleibt in einer gewisse Mehrdeutigkeit. Abgesehen davon ist das Casting von Rourke jedoch auch der amüsanteste Besetzungscoup des Actionspektakels; haben doch mit Rourke und Robert Downey Jr. zwei ehemalige 1980er-Jahre-Stars erst kürzlich fulminante Comebacks hingelegt – der eine als Kassenmagnet in Blockbustern wie Iron Man (2008) und Sherlock Holmes (2009; Guy Ritchie), der andere in dem Arthausdrama The Wrestler (2008; Darren Aronofsky). Dankbarerweise ist der Film dann auch nicht in 3D gedreht, sondern, ganz altmodisch, normal „flach“. Wie bei vielen Fortsetzungen von Comic-Verfilmungen bzw. Superhelden-Filmen fällt Iron Man 2 hinter seinem Vorgänger zurück. Einen vergnüglichen Abend im Kino kann man sich mit dem Film aber durchaus machen:

Im weitesten Sinn ebenfalls der Fantasy zugehörig, ist Susanna Whites Kinderfilm Nanny McPhee and the Big Bang (Eine zauberhafte Nanny – Knall auf Fall in ein neues Abenteuer; 2010), der mir überraschend gut gefallen hat:

Die besten Filme der letzten Wochen fallen jedoch im weitesten Sinn ins (melo)dramatische Fach. Etwa Özcan Alpers einfühlsames – und durchaus politisch zu verstehendes – Spielfilmdebüt Sonbahar (Herbst / Autumn; 2008); eine türkisch-deutsche Koproduktion, die heute (13. Mai) mit vermutlich nur wenigen Kopien anläuft:

Wie ähnlich europäische Arthaus-Filme Zeit, Subjektivität, Landschaftsaufnahmen, Musik und eine bisweilen a-lineare Erzählweise für ihre Dramaturgie einsetzen, zeigt der Vergleich von Sonbahar mit Urszula Antoniaks meditativem Drama Nothing Personal (2009). Letzterer ist schon seit etwa vier Wochen in den deutschen Kinos zu sehen und ein definitiver Filmtipp!

Und zuletzt noch ein Grenzgänger zwischen den Genres, changierend zwischen Roadmovie, Gangsterfilm, Lovers-on-the-Run-Melo und Ethno-„Weltkino“: Cary Fukunagas Spielfilmdebüt Sin Nombre (2009), der wie lange schon kein US-amerikanischer Film mehr einen genauen Blick über die Landesgrenzen wagt – jenseits simpler Erklärungen und Stereotypisierungen, mit viel Zuneigung und Zärtlichkeit für seine Protagonisten:
alternativ auch auf der Seite der ARD:


Natürlich gab es in den letzten Wochen eine ganze Reihe weiterer, ebenfalls sehenswerter Neustarts. Stellvertretend sei hier nur einer angeführt, mein bisheriger Kandidat für den besten Film des laufenden Kinojahrs: Jacques Audiards meisterliches, episches Gangsterdrama Un Prophète (Ein Prophet; 2009). Trotz vielschichtiger filmhistorischer Bezüge auf klassische Gangsterfilme wie Scarface (1932; Howard Hawks) bis hin zu Francis Ford Coppolas The Godfather: Part II (Der Pate II; 1974) und Querverweisen auf Bert Brecht (Denn der Haifisch, der hat Zähne ...) gelingt Audiard ein wirklich originelles, eigenständiges Werk, das seinen Platz in der Filmgeschichte finden wird. Wie so oft scheint auch dieser Film nur mit nur sehr wenigen Kopien bundesweit zu laufen. Also, wer die Möglichkeit hat: Unbedingt ansehen!