„Hereafter“
(„Hereafter – Das Leben danach“; USA 2011; Regie: Clint Eastwood)
Clint Eastwood hat sich in seiner mittlerweile 40-jährigen Karriere als Regisseur an fast allen Genres versucht, die das Kino zu bieten hat: Er hat Western gedreht wie „High Plains Drifter“ („Ein Fremder ohne Namen“; 1973) und „Unforgiven“ („Erbarmungslos“; 1992). Er hat Thriller inszeniert, etwa „Play Misty For Me“ („Sadistico“; 1971) oder „The Changeling“ („Der fremde Sohn; 2008), Polizei- und Gangsterfilme wie „Sudden Impact“ („Dirty Harry kommt zurück“; 1983) und „Perfect World“ (1993), einige Kriegsfilme, darunter den ruppigen „Heartbreak Ridge“ (1986) und das düstere Diptychon „Flags of Our Fathers“ / „Letters From Iwo Jima“ (2006), auch Melodramen („Breezy“; 1973), Biopics („Bird“; 1988) und eine Musikdokumentation („The Blues – Piano Blues“; 2003). Selbst eine Sci-Fi-Komödie („Space Cowboys“; 2000), ein Boxer(innen)film („Million Dollar Baby“, 2004) und eine bizarre Mischung aus Berg-, Abenteuer- und Spionagefilm („The Eiger Sanction“ / „Im Auftrag des Drachen“; 1975) finden sich in seiner Filmografie. Mittlerweile sind das 32 Werke, viele gute und sehr gute Filme, manche davon Meisterwerke, wieder andere eher Konfektionsware.
Der Mann ist vielseitig, kein Zweifel. Und er hat in seiner Karriere einen beeindruckenden Wandel vollzogen, vom B-Film-Nebendarsteller und ewig zweitem Fernsehcowboy in den 50er Jahren zur Ikone des Stoizismus und Inbegriff des kool killer in den 60er und 70er Jahren. Spätestens ab den 80ern wurde Eastwood dann zum American Icon, zur nationalen Institution und zum Inbegriff des amerikanischen Autorenfilmers. In 70er Jahren war er noch das Hassobjekt vieler Kritiker gewesen, ein Status, den Rolling Stone-Interviewer Tim Cahill ironisch auf den Punkt brachte, als er schrieb, dass „in den frühen 70ern ein Interesse für Clint-Eastwood-Filme unter film buffs eine verschämte und heimliche Leidenschaft war, vergleichbar in etwa mit Selbstbefriedigung“. Heute kündigt die Pressestelle der Warner Bros. jede seiner Regiearbeiten als „das neue Meisterwerk von Clint Eastwood“ an.
Eastwoods Aufstieg zum Regiestar gründet fraglos in seinem Talent, in seinem Mut zu Experimenten und Fehltritten und der Ausnahmeposition, die er sich als Actor/Director/Producer erarbeitet hat. Und darin, dass der Mann mit seinen mittlerweile 81 Jahren immer noch jedes Jahr einen neuen Film in die Kinos bringt und dabei immer für eine Überraschung gut ist. Fast scheint es in den letzten Jahren, als habe der große alte Mannes des amerikanischen Kinos sich vorgenommen, auch die letzten Genres durchzuarbeiten, die ihm in seinem Œuvre noch fehlen: mit „Invictus“ ein Sportfilm, nun mit „Hereafter“ ein Film über des Jenseits; ein Mysterythriller, der das Übersinnliche nicht im geringsten leugnet, sondern einfach als Tatsache akzeptiert und damit die Lücke füllt, die in Eastwoods Werk offensichtlich ist: die des phantastischen Films. Als übernächsten Film hat Eastwood übrigens kürzlich angekündigt, die Regie bei dem Musical-Remake „The Sound of Music“ zu übernehmen – noch so ein Genre, das bislang in seinem Regisseursportfolio fehlt.
Natürlich ist „Hereafter“ kein übernatürlicher Mummenschanz geworden, sondern wie viele Filme Eastwoods in den letzten Jahren klares Erzählkino, character-driven, mit viel Raum für die Schauspieler. Dramaturgisch gesehen ist er in Eastwoods Werk der vielleicht disparateste Film bislang: „Hereafter“ erzählt die Geschichten von drei Menschen, die unabhängig voneinander mit dem Tod konfrontiert werden und deren Geschichten sich bis kurz vor dem Ende des Film nicht kreuzen, sondern parallel laufen. Da ist die Fernsehreporterin Marie (Cécile De France), die in Indonesien nur knapp einen Tsunami überlebt und in Paris beschließt, ein Buch über ihre Nahtod-Erfahrung zu verfassen. In London verliert währenddessen der kleine Marcus bei einem Unfall seinen Zwillingsbruder Jason (gespielt von den Zwillingen Frankie und George McLaren). Der Amerikaner George (Matt Damon) wiederum war einst als Medium eine lokale Berühmtheit. Doch seine Gabe, mit den Toten Kontakt aufzunehmen, hat sein Leben ruiniert. Ganz Ende führt der Zufall diese drei unterschiedlichen Menschen, die auf ihre Weise jeweils mit dem Tod leben müssen, in London zusammen.
Es liegt nahe, als Grund für Eastwoods neues Interesse am Spirituellen persönliche Motive zu vermuten, hat der 81-jährige Filmemacher doch mittlerweile ein Alter erreicht, das deutlich über der Lebenserwartung eines durchschnittlichen Amerikaners liegt. Auch rücken seit einigen Jahren Themen wie Alter und Tod, Erinnerung und Verlust unübersehbar in das Zentrum von Eastwoods Œuvre, am offensichtlichsten zuletzt in "Gran Torino". In dieser Hinsicht ist "Hereafter – Das Leben nach dem Tod" wohl auch ein sehr persönlicher Film; eine Auseinandersetzung mit der Frage, was nach dem Sterben kommt. Und er liefert eine für den sonst so nüchternen und skeptischen Regisseur überraschende Antwort: Irgendwie geht es nach dem Tod doch weiter. Aber Eastwood wäre nicht Eastwood, wenn er die durchaus vorhandenen esoterischen Anklänge nicht weitgehend umschiffen würde und selbst in einem solchen Film einige boshaften Spitzen gegen organisierte Religion unterbringen würde. In einer schönen Sequenz klickt sich etwa der kleine Marcus vor dem Computer durch die Jenseitsvorstellungen der großen Weltreligionen, die er auf YouTube findet, und kann angesichts der durchgeknallten islamistischen Prediger und christlichen Fundamentalisten nur den Kopf schütteln. Hier findet er jedenfalls keine brauchbaren Antworten.
Stilistisch ist das Mystery-Drama ein typischer Eastwood-Film, gewohnt nüchtern inszeniert und trotz der Parallelisierung dreier Handlungsstränge schnörkellos, geradezu "klassisch" gestaltet. Wie in seinen vorangegangenen Regiearbeiten spielen Eastwood und Kameramann Tom Stern mit starken Schlagschatten und bevorzugen ausgeblichene Farben. Die zurückhaltend eingesetzte, aber prägnante Filmmusik hat Eastwood wieder selbst komponiert; die Schauspieler liefern gewohnt naturalistische Performances ab. Auch in Bezug auf die Jenseitsvisionen vermeidet der Minimalist Eastwood allzu aufdringliche Effekte. Einzig die wuchtige Eröffnungssequenz fällt aus dem Rahmen und belegt anschaulich, dass Eastwood problemlos auf der Klaviatur des Katastrophen- und Effektkinos spielen kann – und dabei mühelos kraftmeiernde Handwerker wie Roland Emmerich und Michael Bay übertrifft. Die Sequenz mit dem Tsunami gehört fraglos zu den intensivsten Momenten des noch jungen Kinojahres und lohnt alleine den Kinobesuch.
"Hereafter – Das Leben danach" zählt gewiss nicht zu den großen Würfen Eastwoods – etwas zu ausufernd, mitunter auch unkonzentriert und mäandernd wirkt der Film. Als Alterswerk ist das Drama aber allemal sehenswert.
Dieser Text ist zuerst erschienen auf www.filmgazette.de
Hereafter - Das Leben danach
OT: Hereafter
USA 2010 - 128 min.
Regie: Clint Eastwood - Drehbuch: Peter Morgan - Produktion: Clint Eastwood, Kathleen Kennedy, Robert Lorenz - Kamera: Tom Stern - Schnitt: Joel Cox, Gary Roach - Musik: Clint Eastwood - Verleih:FSK: ab 12 Jahre – Darsteller/in: Matt Damon, Cécile De France, Jay Mohr, Bryce Dallas Howard, Frankie McLaren, George McLaren, Thierry Neuvic, Marthe Keller - Deutscher Kinostart: Warner Bros. - 27.01.2011
OT: Hereafter
USA 2010 - 128 min.
Regie: Clint Eastwood - Drehbuch: Peter Morgan - Produktion: Clint Eastwood, Kathleen Kennedy, Robert Lorenz - Kamera: Tom Stern - Schnitt: Joel Cox, Gary Roach - Musik: Clint Eastwood - Verleih:FSK: ab 12 Jahre – Darsteller/in: Matt Damon, Cécile De France, Jay Mohr, Bryce Dallas Howard, Frankie McLaren, George McLaren, Thierry Neuvic, Marthe Keller - Deutscher Kinostart: Warner Bros. - 27.01.2011
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