Mittwoch, 1. Oktober 2008

Sergio Martinos "Giallo" LA CODA DELLO SCORPIONE

LA CODA DELLO SCORPIONE

(THE SCORPION’S TAIL aka THE CASE OF THE SCORPION'S TAIL aka DER SCHWANZ DES SKORPIONS)

Sergio Martino

I-E 1971

DVD, Scope, OmU

***1/2


Der italienische Kriminalfilm der Nachkriegszeit hat im Wesentlichen drei bedeutende Varianten hervorgebracht. Da sind einmal die gialli politici, die kritischen Kriminalfilme im Stil des cinema di denuncia, in denen alles "auf eine descrizione [hinausläuft], eine Beschreibung [...], in der eine Anklage an die Realität die zentrifugale Stellung einnimmt" (Sandro Moraldo). Dann gibt es die populistischen film poliziotteschi, bisweilen auch als film polizieschi-gangsteristici bezeichnet: actionreiche B-Filme von Regisseuren wie Umberto Lenzi und Enzo G. Castellari (= Girolami). Ihre Filme kombinierten in den 70er Jahren Motive von Gangsterfilm und Polizeifilm, lehnten sich deutlich an US-amerikanische Vorbilder wie z. B. die Roger-Corman-Produktionen an und entwarfen mit rücksichtslosen Ermittlerfiguren und überzogen psychotischen Verbrechern ein populistisches, oft rechtsgerichtetes Gegenmodell zu dem kritisch-deskriptiven Kriminalfilmen der linken Aufklärer. Die dritte Variation bilden die barock-blutrünstigen film gialli dell'orrore, die am ehesten mit dem Werk von Regisseuren wie Mario Bava und Dario Argento verbunden werden. Diese äußerst artifiziellen Kriminalfilme waren nahe am Horrorfilm (film dell'orrore) angesiedelt und damit das eskapistischste oder zumindest das am weitesten der Realität entfernteste Modell des Giallo. Zugespitzt könnte man den drei Varianten die Schlagwort Verismus, action und Oberflächenreiz zuordnen.

In der internationalen Filmkritik hat sich ausgehend von Fanartikeln die Verwendung des Terminus Giallo für die Filme Bavas, Argentos und ihrer Nachfolger etabliert, auch wenn film giallo genau genommen doch grundsätzlich den italienischen Kriminalfilm bezeichnet. Der idiomatische Begriff geht auf die populären Kriminalromane des Mondadori-Verlages zurück, der ab 1929 eine Serie von Kriminalromanen in gelben (= giallo) Umschlägen veröffentlichte. Tatsächlich sind viele der italienischen Kriminalfilme auch im weitesten Sinne eher film polizieschi, da sie Polizisten oder Staatsanwälte als Ermittlerfiguren in der Hauptrolle haben. Doch weder für die Gialli in der Nachfolge Bavas und Argentos noch für die politischen Kriminalfilme wäre eine solche Bezeichnung zutreffend; in den einen Filmen sind die Ermittlerfiguren weitgehend unbedeutend, und die Erzählungen der kritischen Kriminalfilme laufen strukturell auf deren Dekonstruktion hinaus. In gewisser Weise ist der Begriff Giallo heute außerhalb Italiens zu einer Art virtuellem Genre geworden, in etwa vergleichbar der Genese des Begriffs Film Noir. Was also sonst als Giallo firmiert, ist im Wesentlichen die Formel film giallo dell'orrore.


Nach dem Veteranen des Subgenres Bava und seinem Meister Argento ist Sergio Martino so etwas wie der Thronanwärter, oder, wollte man es böse formulieren: der Epigone der Formel film giallo dell'orrore. Martinos LA CODA DELLO SORPIONE, wie viele der End-60er/Anfang-70er-Gialli mit einem blümeranten Titel inklusive Tiernamen darin ausgestattet, wirkt zunächst wie eine Art Tourismus-Giallo. Statt in Italien spielt Martinos Film in London und Griechenland, die Akropolis, natürlich, sehen wir einmal pittoresk im Hintergrund. Ansonsten aber werden alle, der seit Bavas SEI DONNE PER L’ASSASSINO (I-BRD-F 1964) und Argentos L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (I-BRD 1970) etablierten Motive der Formel durchgespielt: Frauen in damals modischen Kostümen; ein schwarz gekleideter Killer mit ebenso schwarzen Handschuhen; deformierte Puppen und gewundene Wendeltreppen; Blut, so rot wie Lackfarbe. Des Weiteren: formale Experimente, etwa eine ganze Sequenz, die in einer Einstellung eingefangen wird, wobei die Kamera um 90 Grad gekippt ist und hin und her pendelnd die Figuren einfängt; die Tendenz dazu, scheinbar gegensätzliche und extreme formale Mittel (etwa enorme Weitwinkel und übernahe Details), nicht nur in einer Sequenz einzusetzen, sondern gegeneinander zuschneiden (etwas, was das europäische Genrekino dieser Ära im Besonderen gegenüber dem US-amerikanischen auszeichnet); natürlich auch die subjektive oder besser: subjektivierende Kamera in den Mordsequenzen, in denen bisweilen auch primärfarbiges Licht zum Einsatz kommt; grundsätzlich deren Einrichtung als set pieces; natürlich auch der Sadismus des Killers, der von der Polizei als „sexuell Perverser“ bezeichnet wird. Typisch ist zudem die Figur des extrastaatlichen Ermittlers, der als Aufklärer des Mord-Komplotts fungiert, hier ein Versicherungsdetektiv und eine Journalistin; das Misstrauen der Polizei gegenüber dem Protagonisten (dieses Mal ausnahmsweise berechtigt) und, am Ende dann, die denkbar unglaubwürdigste Auflösung des Falls.

Die Krimis italienischer Machart sind keine Whodunnits, eher Howdoits, denen die Oberfläche alles zählt und die darum auch wesentlich kinematografischer sind, als die Filme, die sich für eine logische Detektion interessieren. Hätten die Italiener nur ein wenig öfter etwas mehr Sorgfalt auf die Konstruktion ihrer Geschichten verwandt, sie hätten ein Meisterwerk nach dem anderen produzieren können. Aber vielleicht hätten sie dann auch nicht mehr so viel Sorgfalt für die formalen Aspekte aufwenden können.

Empfehlenswert ist die US-amerikanische DVD des Labels No Shame: Korrektes Breitwand-Format, lebendige Farben, Originalton mit Untertiteln und sogar ein wenig Bonusmaterial. Die deutsche DVD hat dagegen ein äußerst matschiges Bild.


Keine Kommentare: