Donnerstag, 11. März 2010

Far from Heaven - Alejandro Amenábars ÁGORA


Ágora
(Agora – Die Säulen des Himmels) – E 2009 – Regie: Alejandro Amenábar – Buch: Alejandro Amenábar, Mateo Gil – Produktion: Fernando Bovaira, Álvaro Augustin – Ausführende Produzenten: Simón de Santiago, Jaime Ortiz de Artiñano – Kamera: Xavi Giménez, AEC – Schnitt: Nacho Ruíz Capillas – Ton: Glenn Freemantle – Kostüme: Gabriella Pescucci – Ausstattung: Guy Hendrix Dyas – Musik: Dario Marianelli – Darsteller/innen: Rachel Weisz (Hypatia), Max Minghella (Davus), Oscar Isaac (Orestes), Michael Lonsdale (Theon), Rupert Evans (Synosius), Homayoun Ershadi (Aspasius), Sammy Samir (Kyrill), Richard Durden (Olympius), Omar Mostafa (Isidoru), Oshri Cohen (Medorus), Yousef Sweid (Peter) u.a. – FSK: 12 – Länge: 126 min. – Erstaufführung Spanien: 09.10.2009, deutscher Kinostart: 11.03.2009


Das römisch verwaltete Alexandria im Jahr 391 unserer Zeitrechnung. Die Philosophentochter Hypatia (Rachel Weisz) lehrt an der berühmten Bibliothek der nordafrikanischen Metropole Mathematik und Astronomie. Während sie sich der Erforschung des Sonnensystems widmet, nehmen die religiösen Konflikte zwischen den erstarkenden Christen sowie den Juden und den Anhängern des graeco-römischen Polytheismus der Stadt zu. Schließlich kommt es zum blutigen Glaubenskrieg, dem sich auch die Philosophin nicht entziehen kann.


Alejandro Amenábars Ágora erzählt unter der konventionellen Fassade des Historienfilms eine grimmige Parabel über religiösen Wahn und Intoleranz. Und dabei geht dieser – wohlgemerkt aus dem katholischen Spanien stammende und dort äußerst erfolgreiche – Film überraschend gnadenlos mit dem frühen Christentum ins Gericht. Die Christen und ihre militante Bruderschaft der Parabolani treten von Anfang an als Aggressoren auf, denen jedes Mittel recht ist, die Konkurrenz auszuschalten. Zunächst geht es mit Mord und Totschlag, Vergewaltigung und Brandschatzung, Plünderung und Steinigung gegen den Vielgötterglauben und seine Priester. Danach ist die monotheistische Konkurrenz dran: das Judentum. Intoleranz und Hass sind allumfassend und insbesondere Ashraf Barhoms Verkörperung des Mönchs Ammonius macht den Wahn fast physisch greifbar: der Mann brennt! Diejenigen, die noch halbwegs klar im Kopf sind, sind reine Machiavellisten, denen es für den Machtgewinn nur recht ist, wenn die Agora, der traditionelle Versammlungsplatz im Stadtzentrum, im Blut versinkt. Mit den Armen und Hungernden das Brot teilen: ein Mittel, die eigene Anhängerschaft zu erweitern und die Truppenstärke zu vergrößern. Zwangschristianisierung: egal, ob subtil oder mit dem Schwert in der Hand, Hauptsache, die Christenheit wächst. Textexegese der heiligen Schrift: Geschenkt, solange man Passagen findet, die die eigene Position stützen. Und wenn vereinzelt Anhänger auf Vergebung und Toleranz verweisen: Wer kann sich anmaßen, auf einer Stufe mit Jesus handeln zu wollen? Nicht einmal antijüdische Pogrome und die Genese des christlichen Antisemitismus spart Amenábar aus. Am Ende des Films muss sogar die Protagonistin dran glauben. So weit, so unversöhnlich.



Nur selten streben Antikfilme eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der von ihnen porträtierten Mythologie oder Geschichte an. Georg Seeßlen hat treffend beschrieben, wie in den US-Antikfilmen der 1950er Jahre die vorchristliche Welt als „ein Reich der großen Schicksale und einer glücklich überwundenen, doch nach wie vor faszinierenden Einheit von privatem und öffentlichem, politischem und religiösem, kulturellem und mythischem Leben“ fungierte. In diesen Filmen wurde der Diskurs von unterschwelliger Bewunderung für die vermeintliche "darwinistisch-technokratische Herrschaft antiker Weltreiche" (Seeßlen) und der eigenen kulturellen Identität mit dem puritanisch geprägten Christentum behandelt. Für neuere europäische Monumentalfilme wie Ágora gilt ähnliches, auch wenn sich die Koordinaten verschoben haben. Zwar zeichnet der aufwändig produzierte Antikfilm ein vermutlich gar nicht mal so unrealistisches Bild des zu dieser Zeit noch jungen und aggressiv expandierenden Christentums. Andererseits ist mit der Geschichte vom Aufstieg einer neuen monotheistischen Religion offensichtlich eine Parabel zum gegenwärtigen Islam intendiert. Das mag neben der exzellenten Ausstattung und den vorzüglichen Bauten erklären, warum der Film in Spanien mit mehr als drei Millionen Zuschauern so erfolgreich war. Zugleich ist Ágora für einen gegenwärtigen europäischen Blockbuster – laut Regisseur mit einem Budget von 50 Millionen Euro realisiert und wie Luc Bessons Produktionen mit internationalen Schauspielern besetzt und in Englisch gedreht – äußerst kritisch und pessimistisch gegenüber dem vielbeschworenen „christlich-abendländischen“ Charakter Europas. Seine Widersprüche löst Ágora nicht auf, und gerade das ist es, was ihn zu einem gelungenen Film macht.

Der deutsche Verleiher Tobis dagegen lässt in seinem Presseheft Folgendes über Amenábars Film verlauten:

„Bei ihren Schülern ist die selbstbewusste Wissenschaftlerin [Hypatia] sehr beliebt, ihre männlichen Kollegen aber beobachten sie mit Argwohn. Nicht nur weil sie eine Frau ist, sondern auch weil sie äußerst moderne Thesen vertritt. Mit wachsender Leidenschaft widmet sich Hypatia den elementaren Fragen des Sonnensystems – und das lange vor Kopernikus und Galileo! Mit ihren Erkenntnissen erntet sie jedoch nicht nur Respekt und Anerkennung, sondern zieht auch den Groll der erstarkenden Christen auf sich. Als es in der altägyptischen Weltstadt zwischen Heiden und Christentum zum Glaubenskrieg kommt, gerät Hypatia zwischen die Fronten. Und auch privat ist sie hin- und hergerissen zwischen dem Sklaven Davus [...] und ihrem noblen Schüler Orestes [...]. Doch statt sich in die schützenden Arme der Liebe zu retten, stürzt sich Hypatia in ihren ganz persönlichen Glaubenskrieg und kämpft für das einzig gültige Prinzip ihrer Lehre: das Ideal der Wahrheit!“

Mit dieser Kurzsynopsis, die sich wie eine Historienschmonzette Eichinger’scher Prägung liest, versucht der Verleih, seinen Film dem Publikum als etwas anders unterzujubeln, als er ist. Auffällig ist, dass der Pressetext nach Kräften versucht, die politische Dimension von Amenábars durchaus komplexen Film zu eliminieren und ihn zur Emanzipationsgeschichte umzudeuten. Doch tatsächlich bekämpfen die christlichen Eiferer in Ágora die junge Wissenschaftlerin weniger aufgrund ihrer Weiblichkeit, sondern vor allem aus Machtkalkül, um indirekt einen anderen Mann zu treffen, nämlich Hypatias Beschützer Orestes (Oscar Isaac) (man könnte also sagen: Sie sind so sehr Sexisten, dass sie nicht einmal gewillt sind, eine weibliche Wissenschaftlerin als Bedrohung anzuerkennen). Und wenn Amenábar als Konzession ans große Publikum auch eine angedeutete Ménage-à-trois zwischen Hypatia, dem Sklaven Davus (Max Minghella) und dem Adeligen Orestes in seine Geschichte einbaut und so die unvermeidliche Double-plot-Konvention des Mainstreamkinos erfüllt, dann steht diese Beziehung im Film selbst doch eher im Hintergrund (man könnte Hypatia hier ebenso gut als asexuell betrachten). In der Ankündigung des Verleihs wird daraus allerdings die einem (schlechten) Groschenroman entsprungene Wahl zwischen Wahrheit und Liebe und die antike Hypatia zur moderne Karrierefrau; eine zweite Päpstin à la Sönke Wortmann gar, die sich die Liebe versagt, um den „persönlichen Glaubenskrieg“ zu wählen. Hinzu kommt der deutsche Untertitel „Die Säulen des Himmels“, der dreist an Ken Folletts deftige Geschichtsschwarte Die Säulen der Erde angelehnt ist.
Diejenigen, die angesichts solcher Versprechen dem Verleih auf den Leim gehen, dürften von Ágora ziemlich enttäuscht werden. Wer sich von einer solchen Antiwerbung nicht in die Irre führen lässt, den erwartet ein durchaus anspruchsvoller europäischer Historienfilm, der sich beherzt zwischen die Stühle setzt. Eine mittelalterliche Historien-Soap wie Die Päpstin bleibt uns glücklicherweise erspart.

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