Donnerstag, 30. September 2010

Southern Gothic – THE LAST EXORCISM


“The Last Exorcism” (“Der letzte Exorzimus”)


Jesus selbst sein ein Exorzist gewesen, erklärt der charismatische Prediger Cotton Marcus (Patrick Fabian) dem Filmteam, das sich aufgemacht hat, einen modernen Dämonenaustreiber zu porträtieren. Doch Marcus, einst ein eifernder evangelikaler Priester und noch immer praktizierender Exorzist, glaubt schon lange nicht mehr an den Teufel. Exorzismen betrachtet er eher als einen Gemeindedienst, das letztmögliche Mittel, wenn Schulmedizin und Psychiatrie nicht mehr helfen. Nebenbei sind sie eine gute Einkommensquelle für den Prediger. Und so sind seine Exorzismen allesamt Scharlatanerie, bei der geschickt platzierte Drähte, Soundeffekte und theatralische Mimik zum Einsatz kommen. Meist reicht das aus, den oder die „Besessene“ zur Räson zu bringen, gewissermaßen als spirituelles Placebo. Nun aber will der Priester aus dem Geschäft aussteigen. Ein fehlgeschlagener Exorzismus an einem autistischen Jungen hat ihn endgültig vom Glauben an sein Tun abgebracht. Nur einen allerletzten Exorzismus will er noch durchführen, dem Dokumentarteam zuliebe, und dabei alle seine Tricks aufdecken. Dass es dieser letzte Exorzismus in sich haben wird, daran zweifelt niemand, der mehr als einen Horrorfilm gesehen hat.


Also fahren Marcus und das Filmteam nach Louisiana, Mississippi, in den tiefsten Süden; dahin, wo die Menschen noch etwas anders ticken, in vernuscheltem Singsang sprechen und schon vor Katrina die Armut hoch und der Glaube noch stärker war. Ein weißer Farmer (Louis Herthum) hat um Hilfe gebeten, seine bislang lammfromme Teenagertochter (Ashley Bell) schlachtet im Schlaf sein Vieh und bekommt von ihrem Kruzifix Ausschlag. So etwas muss ja mit dem Teufel zugehen. Der Weg zu der abgelegenen Farm – und abgelegen sind Farmen in dieser Sorte Film immer – ist gepflastert von bösen Omen: fast verwittert wirkt die Landschaft, die an den Autoscheiben vorbeizieht, die Menschen, die die Besucher nach dem Weg fragen, bestenfalls seltsam, ein rothaariger Teenager wirft gleich fauliges Obst gegen die Heckscheibe, dem Soundeffekt sei Dank der erste Schock des Films. Auf der Farm wird das Team schnell mit einer Situation konfrontiert, von der bis zuletzt unklar bleibt, ob sie Resultat religiösen Wahns, familiärer Gewalt oder ganz reales Teufelswerk ist (oder gar etwas von allem).

Bis zum bitteren Ende wird das alles konsequent durch die Kameras des Filmteams gezeigt – verwackelt, mit Aussetzern und Sprüngen, irritierenden Schwenks, kurz: allem, was Unmittelbarkeit suggeriert. Wenn innerhalb der Handlung die Aufnahmen abgebrochen werden, bleibt auch im Kino die Leinwand schwarz bzw. die Handlung setzt eine Ellipse später wieder ein. Wer das Material allerdings geschnitten haben und für den großartigen Sound verantwortlich sein soll, bleibt unbeantwortet. So könnte man „The Last Exorcism“ („Der letzte Exorzismus“) als „Mockumentary“ oder Fakedoku aus „found footage“ beschreiben.

Das ist natürlich eine alles andere als neue Idee. Spätestens nachdem „The Blair Witch Project“ (1999) dank geschicktem viralen Marketing unverschämt viel Geld in die Kassen des kleinen Artisan-Studios gespielt hatte, war klar, dass die Mischung aus verwackelt-unscharfen Kamerabildern, digitalen Dropouts und allerlei esoterisch-mystischem Brimborium nicht der einzige Vertreter seiner Art bleiben würde. Neben dem unvermeidlichen Sequel „Book of Shadows: Blair Witch 2“ (2000) folgten, mehr oder weniger deutlich an der Vorgabe orientiert, der spanische Beitrag „[REC]“ (2007), aus den USA „Paranormal Activity“ (2007) und „Cloverfield“ (2008), zuletzt die Fortsetzungen „[REC] 2“ (2009) und – fertig gestellt, aber noch nicht gestartet – „Paranormal Activity 2“ (2010). Selbst solide Genreware wie Zack Snyders „Dawn of the Dead“-Remake (2004), Neil Marshalls origineller „The Decent“ (2005) und George A. Romeros „Diary of the Dead“ (2007) kam nicht mehr ohne Sequenzen aus, in denen die Protagonisten nicht wenigstens sporadisch das Geschehen selbst filmten und in deren Folge uns dann das meist grünstichige Gekrissel als Realismus verkauft wurde. Im Rückblick gelang es eigentlich nur Neill Blomkamp im fulminanten Auftakt seiner Anti-Rassismus-Satire „District 9“ (2009), der Idee der Fake-Dokumentation noch einmal neuen Reiz abzugewinnen.

Jenseits des pseudorealistischen Mehrwerts bietet die subjektive, vermeintlich von den Protagonisten selbst geführte Kamera im Kino das Versprechen einer neuen Unmittelbarkeit. Die Mockumentary, also der gänzlich gefälschte Dokumentarfilm, ist der zumindest potentiell subversive Endpunkt dieser Tendenz. Dass viele dieser Filme sich jedoch mit Aberglaube, Satanismus und Geistern beschäftigen, kurz: mit allem, was Paranoiker und Esoteriker begeistert, verwundert nicht. Die paranoide Vorstellung, dass nichts ist, was es scheint, lebt gerade von den gefälschten oder unscharfen „Beweisen“ angeblicher übernatürlicher Aktivitäten – sei es nun die Teufelsfratze, die in Fotografien der Rauchschwaden über den Twin Towers am 11. September zu sehen ist, die Schnappschüsse des toten Michael Jackson, der in seiner Neverland-Villa wandelt oder die überbelichtete Bilder von Geistern. Der an Phantasie schwache Geist benötigt „Beweise“ gleich einem Talisman, egal wie offensichtlich falsch sie sind. Was für den Spiritismus der Jahrhundertwende die Fotografie war, erfüllt heute für das mit dem Okkulten beschäftigte Kino die Digitalkamera – als unmittelbarer Signifikant von Realismus und Authentizität.

Warum also sollte man sich einen weiteren Film ansehen, der sich dieser Stilmittel bedient und obendrein offenbar an William Friedkins reaktionärem Über-Horrorfilm „The Exorcist“ (1973) angelehnt ist? Ganz einfach, weil „The Last Exorcism“ ein überraschend effektiver, mit reichlich schwarzem Humor versehener kleiner Genrebastard ist, der eher an die Traditionen des sleazig-trashigen 70er-Jahre-Kinos anschließt als an allzu prätentiöses Bekehrungskino à la Friedkin. In seiner Konsequenz erinnert Daniel Stamms Film dabei an Ti Wests ausgezeichnetem Retro-Horror „The House of the Devil“ (2009). Und im Gegensatz zu seinen ebenfalls nach Hollywood ausgewanderten Kollegen Marcus Nispel und Christian Alvart gelingt es dem in Hamburg geborenen Stamm, trotz – nicht aufgrund – des falschen dokumentarischen Gestus so etwas wie eine höhere Glaubwürdigkeit zu erzeugen. Das liegt vor allem an den ausgezeichneten Schauspielern, dem authentischen Südstaatensetting und daran, dass der Film sehr geschickt schon im ersten Akt innerdiegetisch seinen eigenen „Fake“-Charakter thematisiert, wenn der vermeintliche Exorzist sich mit entwaffnender Offenheit als begabter Scharlatan outet. Auch das geringe Budget – „The Last Exorcism“ hat gerade einmal 1,8 Millionen Dollar gekostet, aber allein in den USA bereits über 40 Millionen eingespielt – trug zu einer dramaturgischen Begrenzung aufs Nötigste bei, was dem Film sehr zu Gute kommt.

Wer also nach dem eher lauen Horrorsommer und vor dem Start von Alexandre Ajas grotesk-großartiger 3D-Schlachtplatte „Piranha 3D“ Lust auf ein gelungenes Genrestück hat, der sollte Daniel Stamms veritablem Terrorfilm eine Chance geben. Im Idealfall allerdings in der englischen Originalfassung. Der eingedeutschte Trailer lässt in Bezug auf die Synchronisation leider Schlimmstes vermuten. Und wie erklärt schon der falsche Exorzist dem Filmteam in „The Last Exorcism“: Der Sound ist immens wichtig für das Gelingen einer guten Show.

Dieser Text ist zuerst erschienen auf www.filmgazette.de



“The Last Exorcism” (“Der letzte Exorzimus”) – USA/F 2010 – Regie: Daniel Stamm – Drehbuch: Huck Botko, Andrew Gurland – Produktion: Marc Abraham, Thomas A. Bliss, Eric Newman, Eli Roth – Kamera: Zoltan Honti – Schnitt: Daniel Stamm – Musik: Nathan Barr – Verleih: Kinowelt – Altersfreigabe: ab 16 Jahre – Besetzung: Patrick Fabian, Iris Bahr, Louis Herthum, Ashley Bell, Jamie Alyson Caudle, Tony Bentley, Shanna Forrestall, Allen Boudreaux, Caleb Landry Jones, Denise Lee, Becky Fly, Logan Craig Reid u.a. – Länge: 87 min. – Kinostart (D): 30.09.2010.




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