Montag, 28. Mai 2012

Friendly Fire: WARRIOR von Gavin O'Connor


"Warrior"

(USA 2011, Regie: Gavin O'Connor)


Boxerfilme sind Geschichten über proletarische Helden, die sich mit harter (Körper-)Arbeit aus der Gosse hocharbeiten; über stumpfe und abgestumpfte Männer, die mit dem Kopf gegen Wände und gesellschaftliche Konventionen anrennen; die den Überblick darüber verlieren, wo die Begrenzung des Rings beginnt und wo sie endet; über Männer, die sich in einem endlosen Kampf mit sich selbst und der Gesellschaft befinden. Boxerfilme sind Aufsteigergeschichten: entweder unreflektierte success stories, die mit dem
Triumph des Außenseiters enden, der mit einem alles entscheidenden Sieg zum Volkshelden aufsteigt. Oder aber sie erzählen als kritische Noir-Varianten davon, was nach dem großen Sieg mit dem Boxer geschieht, wie dieser von skrupellosen Managern ausgebeutet wird, sich mit kriminellen Rackets einlässt, an seinem Ruhm zerbricht und von seinem Körper im Stich gelassen wird.

Boxerfilme sind immer auch Familienfilme: David O. Russells "The Fighter" (2010) erzählt von zwei ungleichen Brüdern und deren desolater Familie, die eigentliche Tragödie in Martin Scorseses "Raging Bull" ("Wie ein wilder Stier"; 1980) ist der endgültige Bruch zwischen den LaMotta-Brüdern, und Burgess Merediths Trainer ist für Sylvester Stallones "Rocky" (1976; John G. Avildsen) natürlich ein Vaterersatz.

Gavin O'Connor zitiert in seinem Mixed-Martial-Arts-Boxerfilm "Warrior" die Bausteine und Klischees des Genres, von Rouben Mamoulians "Golden Boy" (1939) bis zu "Rocky", der Apotheose des Genres, und "Raging Bull", Scorseses Anti-Boxerfilm. Auch er erzählt von ungleichen Brüdern, dem verbitterten Heißsporn Tommy (Tom Hardy), einem tablettenabhängigen Ex-Marine, und dem abgeklärten Familienvater Brendan (Joel Edgerton), der als Physik-Lehrer arbeitet. Während Brendan als Verlierer der Wirtschaftskrise gezwungen ist, wieder in den Ring zu steigen, um seine Familie zu ernähren, kehrt Tommy in seine Heimatstadt Pittsburgh zurück, um sich vom verhassten Vater (Nick Nolte) für die Großveranstaltung "Sparta", eine Art MMA-Super-Bowl, trainieren zu lassen. "Warrior" beinhaltet die für das Genre unvermeidlichen Trainingssequenzen und Ausflüge in den Sozialrealismus. Und natürlich läuft alles auf den letzten, alles entscheidenden Boxkampf hinaus, bei dem die Brüder und ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe im Ring aufeinanderprallen und die Familie wieder zusammenfindet, während in Kneipen und zuhause ein Millionenpublikum zusieht.

O'Connor gelingt es, den im Genre bis zum Erbrechen durchgespielten Plot ohne jede Ironie zu inszenieren, ganz so, als ob er hier zum ersten Mal erzählt werden würde. Neben den ausgezeichnet choreografierten Kampfsequenzen macht gerade dies den Reiz seines Films aus, der leicht neben Russells vordergründig soziologischem "The Fighter" bestehen kann. Der Hauptgrund dafür, dass "Warrior" so gut funktioniert, liegt jedoch am exzellenten Schauspielerensemble: Nick Nolte leistet als passiv-aggressiver Alkoholiker, der am 1000. Tag seiner Abstinenz rückfällig wird, wahrlich Großes. Tom Hardy, seit "Bronson" (2008) und "Inception" (2010) auf dem Weg zum Star, gelingt es, die Zerrissenheit seiner Figur geradezu physisch erfahrbar zu machen. Der bislang kaum bekannte Joel Edgerton bietet mit seinem zurückhaltenden Spiel ein ideales Gegengewicht zu Hardys intensiver Performance. In einer rein dialogisch aufgelösten Konfrontation der beiden Brüder, exakt in der Mitte des Film positioniert und als Foreshadowing des Schlusskampfes angelegt, erscheint Tommys Körper krumm und schief, wie unter der Last der familiären Konflikte verbogen. Zwischenmenschliche Konflikte visualisiert der Film dagegen vor allem mit Großaufnahmen, die den Fokus vom Körper auf das Gesicht, vom embodiment zum acting  verschieben. Zugleich bündelt O'Connor damit den Konflikt, der das Zentrum seines Films bildet: In "Warrior" ist der eigentliche Kriegsschauplatz die Familie, die alle Beteiligten gezeichnet hat. Selbst die Flucht Tommys in die Ersatzfamilie Army bestätigt die Erfahrung, dass es gerade das "friendly fire" ist, das umso tiefer verletzt.


Dieser Text ist in einer erweiterten Fassung erschienen in Splatting Image #89, März 2012


"Warrior" (USA 2011)
Regie: Gavin O'Connor; Drehbuch: Gavin O'Connor, Clif Dorfman, Anthony Tambakis; Kamera: Masanobu Takayanagi; Produzenten: Gavin & Greg O'Connor, John J. Kelly; Musik: Mark Isham; Schnitt: Sean Albertson, Matt Chesse, John Gilroy, Aaron Marshall; Darsteller: Joel Edgerton, Tom Hardy, Nick Nolte, Jennifer Morrison, Frank Grillo, Kevin Dunn, Maximiliano Hernández, Bryan Callen u. a. - DVD-Anbieter: Universum - Laufzeit: 134 Min.


Und hier noch der Trailer via Youtube:
 

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