Sonntag, 13. Januar 2013

Bilderflut: Detlev Bucks DIE VERMESSUNG DER WELT


DIE VERMESSUNG DER WELT
(Deutschland / Österreich 2012; Regie: Detlev Buck)

Der Mathematiker Carl Friedrich Gauß (Florian David Fitz) und der Naturforscher Alexander von Humboldt (Albrecht Schuch) versuchen Anfang des 19. Jahrhunderts, die Welt zu erfassen. Während der aus einfachen Verhältnissen stammende Gauß seine Berechnungen in der heimischen Studierstube anfertigt, bereist der Adelige Humboldt die Welt. Während Gauß früh heiratet und eine Familie gründet, bleibt Humboldt Junggeselle. Im hohen Alter treffen sich beide auf einer Tagung.

Daniel Kehlmanns ironisch gebrochene Doppelbiografie "Die Vermessung der Welt" zählt zu den großen Welterfolgen der deutschen Literatur und ist längst in den Kanon der Schulliteratur aufgegangen. Da wundert es nicht, dass sieben Jahre nach dem Siegeszug des Romans nun auch eine Kinoadaption folgt. Inszeniert hat sie Detlev Buck, der vor allem als Regisseur von Komödien wie "Männerpension" und "Rubbeldiekatz" bekannt ist, als zweistündiges 3D-Spektakel.

Kann das gut gehen? Erstaunlicherweise ja. Stärker noch als die literarische Vorlage rückt die Kinofassung, an der Kehlmann als Ko-Drehbuchautor mitwirkte, die satirischen Motive des Stoffs in den Vordergrund. Gauß und Humboldt sind hier vor allem tragisch-komische Helden. Der preußisch-protestantische Humboldt zieht aus in die weite Welt; er sammelt und bestimmt, vermisst und kategorisiert und versagt sich dabei jede leibliche Ausschweifung. Doch sein flammendes Wissenschaftspathos erscheint vor allem als Ergebnis unterdrückter homoerotischer Neigungen. Was umso tragischer ist, da ihm mit seinem Assistenten Bonpland (Jérémy Kapone) die Versuchung tagtäglich vor der Nase herumtänzelt. Gauß dagegen will ein bürgerliches Leben führen und legt schon als junger Mann sein mathematisches Lebenswerk vor. Doch damit ist das Leben des Wunderkindes zu früh schon vollendet, auch seine große Liebe Johanna (Vicky Krieps) stirbt bald im Kindbett.

Überhaupt ist Bucks "Die Vermessung der Welt" in erster Linie eine Farce; eine Travestie von Historienfilm und Biopic gleichermaßen, die auch vor derben Späßen und Kalauern nicht zurückschreckt. Da stolziert Michael Maertens als Herzog von Braunschweig wie ein pomadierter Affe zwischen Humboldts Expeditionsexponaten und misst seine fauligen Zähne an denen eines ausgestopften Krokodils. Und wenn Gauß und Humboldt endlich zusammentreffen, dann zeigt sich, dass beide Männer nichts miteinander anfangen können. Ein denkwürdiger historischer Moment sieht anders aus.


Buck erzählt die Geschichte vom weltfremden Mathematiker Gauß und dem Abenteuer-Wissenschaftler Humboldt als sinnlichen Bilderbogen. Kameramann Slawomir Idziak taucht die Szenen bei Hof in grelle Bonbonfarben. Die Forscher dagegen leben in einer gänzlich physischen Welt: Humboldt stapft durch den dampfend-grünen Dschungel wie eine der fehlgeleiteten Erobererfiguren aus von Werner Herzogs "Aguirre" und "Fitzcarraldo" – und jubiliert dabei: "Es ist ein Treiben in mir, als wären es zehntausend Säue!" Auch die Welt des Stubenhockers Gauß ist in erdige Farben getaucht, die an die Kindheitstableaus aus Schlöndorffs "Blechtrommel" erinnern. Immer wieder werden Szenen durch Farbfilter und harte Kontraste verfremdet, was den 3D-Bildern zusätzlich Tiefe verleiht.

Dass "Die Vermessung der Welt" kein großes Schauspielerkino ist und nicht alle Witze zünden – geschenkt. Buck ist ein Parforceritt durch die Klischees des Historienfilms gelungen, ein Pasticcio gegensätzlicher Stilmittel. Er schlachtet nonchalant heilige Kühe und bietet viel fürs Auge. Das Ergebnis liegt irgendwo zwischen Richard Lesters Historienfarcen und Terrence Malicks Bildwelten. Das mag nicht jedermanns Sache sein, langweilig aber ist das nie – und sehenswert allemal.


Dieser Text ist zuerst erschienen auf www.br.de, 22.10.2012

DIE VERMESSUNG DER WELT (Deutschland / Österreich 2012)
Regie: Detlev Buck; Drehbuch: Detlev Buck, Daniel Kehlmann; Produktion: Michael André, Claus Boje, Detlev Buck u.a.; Kamera: Slawomir Idziak; Musik: Enis Rotthoff; Verleih: Warner Bros.; Kinostart (D): 25.10.2012; FSK: ab 12 Jahre; Länge: 123 Min.; Besetzung: Albrecht Abraham Schuch, Florian David Fitz, Jérémy Kapone, Sunnyi Melles, Karl Markovics, Vicky Krieps, Katharina Thalbach u.a.


Und hier noch der Trailer via Youtube:

1 Kommentar:

Lisa Sievers hat gesagt…

Was für eine gute Besprechung! Ich habe bisher nur das Buch gelesen, aber habe wirklich Lust auf den Film bekommen, ohne jedoch vielleicht zu viel zu erwarten. Danke dafür!

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