Mittwoch, 4. September 2013

Wahn und Analyse: Rodney Aschers ROOM 237




"Room 237" 
(USA 2012; Regie: Rodney Ascher)

Die meisten Zuschauer, die 1980 "Shining" im Kino sahen, waren wohl der Ansicht, dass Stanley Kubricks Horrorfilm von einem gescheiterten Schriftsteller handelt, der ein eingeschneites Berghotel als Hausmeister instand hält, darüber verrückt wird und schließlich versucht, seine Familie zu ermorden. Weit gefehlt! In Wirklichkeit handelt die Stephen-King-Adaption, in der Jack Nicholson eine diabolische Glanzleistung ablieferte, vom Genozid an den US-amerikanischen Ureinwohnern. Oder ist "Shining" eine Allegorie des Künstlers Kubrick auf die (Gewalt-)Geschichte der Menschheit im Allgemeinen und den Holocaust im Besonderen? Ist "Shining" womöglich sogar der Beweis dafür, dass der Regisseur 1969 die Mondlandung inszeniert hat, und gemeinsam mit der NASA und der US-Regierung der ganzen Welt eine lange Nase gedreht hat?

Diese und andere Interpretationen von "Shining" stellt der Filmemacher Rodney Asher in seinem Dokumentarfilm "Room 237" vor. Sie werden seit Jahrzehnten von Fans und Filmwissenschaftlern vertreten. Manche dieser Analysen, etwa der versteckte Subtext des US-amerikanischen Indianermordes, sind durchaus schlüssig und lassen sich an konkreten Filmausschnitten plausibel belegen. Andere sind bestenfalls lächerlich, wenn nicht gar wahnhaft – etwa die Verschwörungstheorie, die Kubrick zum Mastermind hinter der angeblichen Fälschung des Bildmaterials der Apollo-11-Mission macht und dies mit in "Shining" versteckter Zahlenmystik belegen will, die um das mysteriöse "Zimmer 237" im Zentrum der Handlung kreisen.


Ashers unterhaltsamer, sorgfältig inszenierter und durchaus lehrreicher Film zeigt, wie einflussreich Kubricks vor über 30 Jahren entstandener Klassiker bis heute ist. In Internetforen und Blogs, in Sachbüchern und auf akademischen Tagungen wird das Werk lebhaft diskutiert, das zu seiner Entstehungszeit oft als Ausflug Kubricks ins seichte Kommerzkino abgetan wurde. Dass diese leidenschaftlich betriebene "Shining"-Exegese mitunter absurde Blüten treibt, verwundert kaum. In seinem Dokumentarfilm verkneift sich Regisseur Asher eine Wertung der vorgestellten Interpretationen. Wenn aber einer der Interviewpartner seine allzu freudianisch ausgerichtete Interpretation vorstellt und nahezu überall in Kubricks Film Phallussymbole entdeckt, dann hätte wohl auch der Satiriker Kubrick seinen Spaß gehabt. Immerhin hatte er mit "Shining" einen Film über Wahnsinn gedreht, der nun selbst eine – recht harmlose – Form von Wahn in der Realität hervorgebracht hat.

Vor allem aber macht "Room 237" mit klug gewählten Ausschnitten aus Kubricks Film und zahlreichen europäischen wie US-amerikanischen Horrorfilmen Lust darauf, sich "Shining" wieder anzusehen – und diesmal etwas genauer hinzusehen. Wer weiß, vielleicht findet man dabei selbst einen ganz neuen Zugang zu diesem durchaus komplexen und vieldeutigen Horrorfilm? 

"Room 237" (USA 2012)
Regie: Rodney Ascher; Drehbuch: Rodney Ascher; Produktion: Tim Kirk; Kamera: Mark Boswell, Brian Kallies; Schnitt: Rodney Ascher; Musik: Bear McCreary; FSK: ab 16; Länge: 102 Min.; Verleih: Rapid Eye Movies HE; Kinostart (D): 19.09.2013


Hier der Originaltrailer des Dokumentarfilms ...


... und der von Kubricks "Shining"


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