Sonntag, 23. März 2014

Zwei Liebesfilme: HER von Spike Jonze und LOVE STEAKS von Jakob Lass

 


„Her“ (2013; R: Spike Jonze) / „Love Steaks“ (2013; R: Jakob Lass)
 
Zwei ungewöhnliche Liebesfilme hält der März 2014 für Kinobesucher bereit: Spike Jonzes futuristische Hipster-Romanze „Her“ und Jakob Lass‘ bodenständig-zupackender, wunderbar respektloser Independentfilm „Love Steaks“, in dem ein schüchterner Masseur und eine alkoholkranke Küchenhilfe in einem Ostsee-Kurhotel erst aneinander geraten und bald übereinander herfallen.



„Her“
(USA 2013; Regie: Spike Jonze) 

Zunächst zu Spike Jonzes bonbonfarbener Zukunftselegie, die uns mit Theodore Twombly (Joaquín Phoenix) vertraut macht: einem schüchternen Autor, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, für andere Menschen Liebesbriefe zu verfassen. Twombly befindet sich selbst mitten in einem schmerzlichen Trennungsprozess von seiner Jugendliebe Catherine (Rooney Mara), als er zuhause ein neues OS, also ein Betriebssystem [= Operating System] installiert, das als selbstständig lernende künstliche Intelligenz angelegt ist. Das Programm, das sich den Namen Samantha gibt und in der Originalfassung mit der Stimme Scarlett Johansson spricht, wird neben Nachbarin Amy (Amy Adams) bald Theodores wichtigster Sozialkontakt: ein anregender und geistreicher Gesprächspartner; eine Freundin, die immer zuhört – und bald: ein Partner in allen Lebenslagen, auch beim virtuellen Sex. Doch Samantha, die sich in Theodore verliebt, entwickelt Minderwertigkeitsgefühle ob ihres fehlenden Körpers.


Der Videoclipregisseur Spike Jonze hatte mit der Groteske „Being John Malkovich“ (1999), der Satire „Adaptation.“ („Adaption.“; 2002) und dem Kinderfilm „Where the Wild Things Are" („Wo die wilden Kerle wohnen“; 2009) bereits drei ebenso phantasievolle wie verschrobene Spielfilme vorgelegt, bevor er sich mit seinem futuristischen Liebesfilm „Her“ an einen ‚echten‘ Fantasy- bzw. Science-Fiction-Film wagt. Die Zukunft, in der Joaquín Phoenix‘ kafkaesker Protagonist lebt, wird bestimmt von endlosen, von Wolkenkratzern gesäumten Straßenschluchten und pastellfarbenen Interieurs. Selbst der Fahrstuhl, den Theodore jeden Tag nutzt, erscheint als eigens entworfenes Design-Kunstwerk. Zugleich ist diese mitunter aseptisch anmutende Zukunftswelt nicht weit von unserer Gegenwart entfernt – bisweilen wirkt sie, also ob die Designer von Apple die Weltherrschaft übernommen haben. Das ist alles wunderschön anzusehen, und auch Hauptdarsteller Phoenix passt sich mit eher zurückgenommenem Schauspielstil dem Dekor an, während Scarlett Johansson, gänzlich ätherisch geworden, nur noch als verführerische Stimme von Theodores obskurem Liebesobjekt in Erscheinung tritt.


Mit der Behandlung der philosophischen Fragen, die Jonzes Film anreißt, könnte man leicht ganze Doktorarbeiten füllen: Ist es möglich, dass Computer ein Bewusstsein, gar Emotionen und eine Persönlichkeit entwickeln? Falls ja: Was bedeutet das für die Menschheit? Was macht überhaupt Menschlichkeit aus? Neu sind diese Fragen freilich weder im Kino noch in der Science-Fiction-Literatur. „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“, fragte Science-Fiction-Ikone Philipp K. Dick bereits 1968 in einem Roman, der 1982 von Ridley Scott in den zeitlosen Klassiker „Blade Runner“ umgearbeitet wurde. Und auch die körperlose Stimme Samanthas hat viele Vorbilder in der Filmgeschichte, darunter die des Meisterverbrechers Dr. Mabuse in Fritz Langs frühen Tonfilmen, die Stimmen des „Invisible Man“ („Der Unsichtbare“; 1933) und des „Wizard of Oz“ („Der Zauberer von Oz“; 1939), die der mörderischen Mutter in Hitchcocks „Psycho“ (1960), vor allem aber die des Computers HAL 9000 in Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“ („2001: Odyssee im Weltraum“; 1968). Der französische Komponist, Musik- und Filmwissenschaftler Michel Chion hat in seinem Buch „Audio-Vision“ (1990) für solche genuin filmische Phänomene den Begriff des „acousmêtre“ geprägt, der – zusammengesetzt aus acousmatic (ein sound, dessen Quelle nicht sichtbar ist) und être (seiend) einen unsichtbaren Protagonisten beschreibt, dessen körperlose Stimme und Geräusche den "audiovisuellen Vertrag" des Films bis zum Extrem dehnen und trennen. Spike Jonzes „Her“ fügt diesem von Chion beschriebenen "Geister-Universum" der Klänge oder Stimmen jenseits der Symmetrie zum Bild das definitive, vielleicht sogar letztmögliche Beispiel hinzu, bei dem unklar bleibt, wie das virtuelle Sein/Bewusstsein des „acousmêtre“ überhaupt gefasst werden kann.


Der philosophische und kunstgeschichtliche Referenzraum, den Jonze, der auch das Oscar-gekrönte Drehbuch verfasste, fraglos evoziert, lässt „Her“ mitunter etwas zu selbstreflexiv postmodern, ausgestellt hip und ephemer-intellektuell wirken. Die Liebesgeschichte, die durchaus originell ist, verbleibt letztlich ähnlich wie Samanthas Stimme im virtuellen Raum. So ist „Her“ für Science-Fiction-Fans sicherlich ein Vergnügen – allerdings vor allem ein intellektuelles, kein emotionales.




„Love Steaks“
(Deutschland 2013; Regie: Jakob Lass) 

Ganz anders da Jakob Lass‘ „Love Steaks“, ein im eher prekären und gänzlich physischen Dienstleistungssektor angesiedelter Independentfilm, der mit dem jungen Masseur Clemens (Franz Rogowski) einen ebenfalls schüchtern-tapsigen und alles andere als selbstsicheren männlichen Protagonisten aufbietet. Clemens arbeitet in einem Kurhotel an der Ostsee, wo er auf die rotzig-vorwitzige Küchen-Azubi Lara (Lana Cooper) trifft, die keine Autoritäten akzeptiert und dem Alkohol etwas zu sehr zugeneigt ist. Wider erwarten verlieben sich die beiden Außenseiter ineinander, kabbeln sich und lieben sich, küssen und schlagen sich. Ausnahmsweise sehr treffend verspricht die „tag line“ des Films: „Ein Masseur. Eine Köchin. Ein junges Paar auf's Maul.“ Während Lara und Clemens also herumalbern, sich Liebesnester in Abstellkammern und Lagerräumen einrichten und versuchen, dem spießigen Concierge (grandios: Ralf Winter) ein Schnippchen zu schlagen, der sein Kontrollregime nach dem Motto: „Der Fuchs schläft nicht, er schlummert nur!" führt, wird Laras Alkoholkonsum immer mehr zum Problem.



Was zunächst wie eine Mischung aus Problemfilm und klischeehafter Liebesgeschichte klingt, erweist sich wieder Erwarten als eines der besten Werke des gegenwärtigen deutschen Kinos: Ein Film voller Wendungen und Haken; mit Brüchen, Ecken und Kanten; romantisch und zugleich sexy; glaubhaft und wahrhaftig; unberechenbar, unmittelbar und vor allem unverschämt komisch. Kurz: Der rasant montierte und großartig fotografierte „Love Steaks“ macht verdammt viel Spaß, was nicht zuletzt daran liegt, dass die ambitionierte Gemeinschaftsarbeit von Regisseur Jakob Lass, den Produzenten Ines Schiller und Golo Schultz und den begnadeten Hauptdarstellern Lana Cooper und Franz Rogowski nie vorhersehbar wirkt.


Eine Gemeinschaftsarbeit ist dieser große kleine Film, der ohne Förderung und ohne Beteiligung eines Fernsehsenders für ein geringes Budget entstanden ist, auch darum, weil viele der Szenen ohne Drehbuch und als Improvisation am Set entstanden. Wer also im Einzelnen für welchen Satz, welche Wendung der Handlung verantwortlich ist, wird man kaum sagen können. Lass und seine Teamkollegen, die überwiegend an der „Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg studiert haben, nennen ihr Konzept in Anlehnung an das publicityträchtige „Dogma“-Konzept, das Lars von Trier und befreundete Regisseure 1995 veröffentlichten, „Fogma“. Dabei gibt es natürlich längst einen Namen für diese Art Film: „Mumblecore“ – ein Begriff, der für Independentfilme mit äußerst geringem Budget steht, die sich durch viel Improvisation, Stilmittel des dokumentarischen Realismus, einer Bevorzugung von Laienschauspielern und Do-it-Yourself-Ästhetik auszeichnen.

Aber Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk. Und die großspurige Proklamation von „Love Steaks“ zum weltweit ersten „Fogma“-Film nebst der Veröffentlichung von zwölf Regeln (LINK), die einen „Fogma“-Film auszeichnen, ist selbst eine schöne Parodie auf den europäischen Kunstfilmbetrieb und zeigt, dass Lass und Konsorten genau wissen, was sie wollen – und was nicht. Den Lohn für die Chuzpe, mit der das „Love Steaks“-Team mit bewährten Konzepten der deutschen Beziehungskomödie und des Problemfilms Schlitten fährt, gab es unter anderem auf dem Filmfest München, wo der Film 2013 beim „Förderpreis Neues Deutsches Kino“ alle vier Preise (!) einsammelte: als beste Regiearbeit, beste Produktion, für das beste Schauspiel und das beste Drehbuch. 2014 folgte der Hauptpreis beim 35. Max Ophüls Preis. Das ist mehr als verdient. Zu gönnen ist „Love Steaks“ obendrein ein größeres Publikum auch im regulären Kinobetrieb. 

Teile dieses Textes sind zuerst erschienen auf www.br.de 



LOVE STEAKS (D 2013; Regie: Jakob Lass)
Regie: Jakob Lass; Drehbuch: Jakob Lass, Ines Schiller, Timon Schäppi, Nico Woche; Produktion: Ines Schiller, Golo Schultz; Kamera: Timon Schäppi; Schnitt: Gesa Jäger; Musik: Golo Schultz; Verleih: Daredo; Kinostart (D): 27.03.2014; FSK: ab 12 Jahren; Länge: 90 Min.; Besetzung: Lana Cooper, Franz Rogowski, Kerstin Abendroth, Daniela Adenauer, Georg Ludwig-Grosse, Ralf Winter u.a.

Hier der Trailer via YouTube:

 
HER (USA 2013; Regie: Spike Jonze)
Regie: Spike Jonze; Drehbuch: Spike Jonze; Produktion: Megan Ellison, Spike Jonze, Vincent Landay, Daniel Lupi, Natalie Farrey, Chelsea Barnard; Kamera: Hoyte van Hoytema; Schnitt: Eric Zumbrunnen, Jeff Buchanan; Musik: Arcade Fire; Verleih: Warner; Kinostart (D): 27.03.2014; FSK: ab 12 Jahren; Länge: 126 Min.; Besetzung: Joaquin Phoenix, Scarlett Johansson, Amy Adams, Rooney Mara, Olivia Wilde, Portia Doubleday, Sam Jaeger, Matt Letscher, Chris Pratt u.a.

Hier der Originaltrailer via YouTube:



Keine Kommentare: