Sonntag, 15. März 2015

Der Stand der Dinge: WAS HEISST HIER ENDE? von Dominik Graf



 

Was heißt hier Ende? – Der Filmkritiker Michael Althen

(Deutschland 2015; Regie: Dominik Graf) 


Wie man einen Essay über den Stand der Filmkritik dreht, der Lust und Frust, Glück und Misere des Berufsstandes auf den Punkt bringt, zugleich aber auch eines der schönsten Porträts über einen ausgewiesenen Exponenten dieser Zunft gestaltet, das demonstriert Dominik Graf in seinem neuen Dokumentarfilm „Was heißt hier Ende?“. Dabei mutet das Sujet zunächst eher sperrig an. Ist doch der Kritiker ein Mensch, dessen Arbeit sich meist unspektakulär gestaltet und die er im dunklen Kinosaal, bei den obligatorischen Pressevorstellungen, im Gewusel von Filmfestivals und bei Massen-Interviewterminen, nicht zuletzt auch im Büro verrichtet. Dort brütet er über den eigenen Notizen, dem Presseheft oder vor seinem Computer, sucht nach dem richtigen Zugang zum Film oder hackt einen Text in die Tasten. Die Ironie liegt auf der Hand: Wirklich „fotogen“ ist der Beruf des Filmkritikers nicht. Und wenn dann auch noch der Protagonist des Films, in diesem Fall der begnadete Kritiker Michael Althen (1962-2011), viel zu früh gestorben ist, gestaltet sich die Hommage doppelt schwer.



Dominik Graf, Althen freundschaftlich wie kollegial verbunden, löst die diffizile Aufgabe mit Bravour. Sein Film über den 2011 gestorbenen Kollegen, der auf der Berlinale 2015 uraufgeführt wurde, ist eine nostalgische Reise in eine gar nicht so lang zurückliegende Ära – in die Zeit, als noch nicht allenthalben vom Zeitungssterben die Rede war, als Filmkritiker noch von ihrem Beruf leben konnten und das Feuilleton Einfluss hatte. Althen, den Graf uns als Mensch und Autor nachdrücklich nahe bringt und mit dem er mehrfach zusammengearbeitet hatte, etwa bei den Essayfilmen „Das Wispern im Berg der Dinge“ (1997) und „München – Geheimnisse einer Stadt“ (2000), lebte eine Passion, das wird hier schnell deutlich. Alleine sein mit Filmbüchern und Zeitschriften bis unter die Decke gefülltes Arbeitszimmer verdeutlicht: Das war keiner, der seinen Job „9 to 5“ erledigte. 


Früh im Film liest Graf aus dem Off einen dieser wunderbar schwärmerischen, ebenso pointierten wie sensiblen, zugleich selbstironischen Althen-Texte; darüber, wie man sich gemeinhin den Beruf des Filmkritikers vorstelle, nämlich als Möglichkeit, schöne Frauen und Stars kennenzulernen und etwas von dem ganzen Glamour der Filmwelt abzubekommen. Doch das wirkliche Leben ist eben nicht das Kino. Nur einmal, so Althen, war alles ganz anders. Da sollte er Mitte der 80er Jahre Jacqueline Bisset interviewen – die damals „definitiv schönste Frau der Welt“. Im Anschluss steckte sie dem Kritiker ihre Telefonnummer zu, für den Fall, dass er einmal in L.A. sei. Er, Althen, jedoch habe sich nie getraut, die Nummer anzurufen. Aber die Anekdote zeigt doch, wie die wirkliche Welt manchmal Funken schlägt im Kontakt mit dem Kino und wie schön es ist, wenn einer seine Arbeit wirklich liebt. So ist „Was heißt hier Ende?“, in dem neben Althen auch Familienmitglieder und Freunde, Filmemacher und Kritiker zu Wort kommen, ein wahres Füllhorn an kleinen und großen Geschichten, in seiner Haltung dem Menschen Althen und seinem Gegenstand gegenüber zärtlich und genau, poetisch und informativ, überhaupt letztlich weit mehr als „nur“ ein Film über einen Kritikerkollegen: Es ist eine der schönsten, wehmütigsten, obendrein klügsten Bestandsaufnahmen dieses Berufsstandes; kurz: ein Film darüber, wie man die Welt sehen kann und wie man dies zu seinem Beruf macht. Ein Kleinod, dieser Film.

Dieser Text ist zuerst erschienen auf www.br.de


P.S.: Auf der Website www.michaelalthen.de sind viele Texte Michael Althens archiviert und für Interessierte verfügbar. Betreut wird die Sammlung u.a. von den Filmkritikern Claudius Seidl, Milan Pavlovic, Christopher Roth, Tobias Kniebe, Stephan Lebert und Peter Körte.



WAS HEISST HIER ENDE? – DER FILMKRITIKER MICHAEL ALTHEN (Deutschland 2015)

Regie + Buch: Dominik Graf; Montage: Tobias Streck; Kamera: Felix von Boehm, Till Vielrose; Ton: Robert Richert; Musik: Sven Rossenbach, Florian van Volxem; Sprecher: Dominik Graf, Jeanette Hain, Philipp Moog; Regieassistenz & Produktionsleitung: Teresa Althen, Artur Althen; Produzent: Joachim Schroeder (Preview Production); Koproduzenten: Christoph Fisser, Charlie Woebcken, Henning Molfenter (Studio Babelsberg); Redaktion & Koproduktion: Andrea Hanke (WDR), Sabine Scharnagl (BR), Thomas Sessner (BR), Rolf Bergmann (RBB); Verleih & Vertrieb: Werner Fuchs, Zorro Film. Kinostart (D): 18.06.2015. Länge: 120 Min. Mit: Michael Althen, Adolf Althen, Artur Althen, Hannelore Althen, Nikolaus Althen, Teresa Althen, Beatrix Althen-Schnippenkoetter, Wolfgang Höbel, Christoph Huber, Romuald Karmakar, Ulrich Khuon, Andreas Kilb, Tobias Kniebe, Peter Körte, Doris Kuhn, Stephan Lebert, Caroline Link, Olaf Möller, Harald Pauli, Milan Pavlovic, Christian Petzold, Hans Helmut Prinzler, Evelyn Roll, Charles Schumann, Claudius Seidl, Anke Sterneborg, Tom Tykwer, Moritz von Uslar, Wim Wenders u.a.

Hier findet sich ein Trailer

1 Kommentar:

Tim hat gesagt…

Gefallen hat mir, dass Graf am Ende eben doch den Blick weitet und auch vom Umbruch eines Berufsbildes erzählt - nur war ich dann enttäuscht, dass dieser Umbruch von den Protagonisten kaum wahrgenommen wird. Seidl, Lebert & Co. kleben an ihrer, durchaus ja in Kontroversen entstandenen, Form der Filmkritik und lassen nichts gelten bzw. übersehen ziemlich konsequent, welche Stimmen außerhalb vom klassischen Feuilleton sogenannter Qualitätszeitungen diskutieren. Und die klingen, anders, aber m.E. gewiss nicht schlechter als Althen