Mittwoch, 12. Februar 2014

Genre/Österreich (II.): DAS FINSTERE TAL von Andreas Prochaska


„Das finstere Tal“
(Österreich/Deutschland 2014; Regie: Andreas Prochaska)

Es war einmal ein abgeschiedenes Tal in den Tiroler Alpen. Die Menschen, die sich hier vor vielen Jahren niedergelassen hatten, lebten nach einfachen Regeln. Den Lebensrhythmus gaben die Jahreszeiten vor. Die Leute aßen, was der Boden, die Wälder und ihrer Hände Arbeit hergab. Sie achteten die Gebote der Kirche. Mehr aber noch gehorchten sie den Regeln des alten Brennerbauern (Hans-Michael Rehberg), der mit seinen sechs Söhnen im Tal wie ein König herrschte. Bis eines Tages ein Fremder (Sam Riley) in das Tal kam.
Der Fremde, der sich Greider nannte, war weit gereist und zuvor in einem fremden Land gewesen, das Amerika heißt. Von dort hatte er ein Zauberding mitgebracht, das auf Silberplatten Bilder machen konnte, von Menschen ebenso wie von den Bergen, die das Tal umgaben – „Spiegel mit Gedächtnis“ nannten dies die Dorfbewohner. Auch wenn Hans (Tobias Moretti), dem ältesten Sohn des alten Brenner, der Fremde nicht gefiel, gestattete er ihm doch gegen ein Entgelt, den Winter im Haus der jungen Luzi (Paula Beer) zu verbringen und seine Bilder von den Bergen zu machen. Doch als der Winter kam, da begannen die Söhne des Brennerbauern einer nach dem anderen zu sterben. Und Hans, der dem Greider von Anfang an nicht getraut hatte, nahm sein Gewehr und beschloss, den Fremden zu töten.


Mit „Das finstere Tal“ hatte der Münchner Filmkritiker Thomas Willmann 2010 einen von Ludwig Ganghofer und Sergio Leone inspirierten Debütroman vorgelegt, der sich bald zum Bestseller entwickelte. Schon auf der ersten Seite, einem der Geschichte vorangestellten Kurzprolog, demonstriert Willmann, wie sehr seine Erzählhaltung vom Denken in filmischen Koordinaten infiziert ist. „Die knorrige Hand fuhr hinein in das wurlende Knäuel neugeborenen Lebens. Sie scherte sich nicht um das Maunzen der Kätzchen und die Wischer ihrer bekrallten Tatzen“, lauten die ersten beiden Sätze, und bereits hier denkt Willmann im Schreiben den das Filmbild begrenzenden Rahmen mit: Da greift nicht einfach ein Mann mit seiner Hand in einen Wurf kleiner Kätzchen, hier bricht eine knorrige Hand (Detail!) in das Bild der Kätzchen (Totale!) ein. Was dann mit den Tieren geschieht, fasst als Miniatur das düstere Geheimnis, das im Zentrum von Willmanns Roman und Andreas Prochaskas Verfilmung steht, ebenso zusammen wie es als Menetekel der Ereignisse des letzten Akts steht.

Dass dieser Erfolgsroman tatsächlich verfilmt wurde, überrascht nicht, insbesondere da Western mit Italo-Einschlag seit „Django Unchained“ wieder en vogue sind. Dass Andreas Prochaska mit seiner Adaption von „Das finstere Tal“ einen ebenso kompromisslosen wie großartigen Alpenwestern geschaffen hat, war jedoch keine Selbstverständlichkeit. Wie leicht hätte die Kinoversion eine fade Bebilderung von Willmanns Vorgabe werden können: als gediegene Literaturverfilmung, den Dialekt in den Dialogen durch Hochdeutsch ersetzt, das Blutbad am Ende abgemildert. Stattdessen inszeniert Prochaska, der unter anderem als Cutter für Michael Haneke tätig war und sich als Regisseur von Horrorfilmen wie „In 3 Tagen bist du tot“ (2006) auch im Unterhaltungskino bewiesen hat, einen lupenreinen Genrefilm, der zwischen Western und Heimatfilm angesiedelt ist, dessen wuchtige, bisweilen drastische Bildsprache nach der großen Leinwand verlangt und der auch sonst – in Besetzung, Ausstattung, Lichtsetzung und Sounddesign – alles richtig macht.



Und nicht nur das. Der Regisseur kennt die filmischen Vorbilder des Romans und evoziert sie, ohne die Inspiration allzu exzessiv auszustellen – einen „Zitate-Western“ habe er schließlich nicht drehen wollen, so Prochaska in einem Interview. Eher hat er seine Vorbilder so sehr verinnerlicht, dass er in ihrem Geist eine alte Geschichte ganz neu erzählt. Die Breitwandbilder von Kameramann Thomas Kienast schwelgen dementsprechend in majestätischen Alpenpanoramen, die jedem Nachkriegsheimatfilm oder Harald Reinls Scope-Adaptionen von Ganghofer-Romanen wie „Schloss Hubertus“ (1973) und „Der Jäger von Fall“ (1974) zur Ehre gereicht hätten. Die Auswahl der Besetzung erweckt den Eindruck, als wäre wie 50 Jahre zuvor bei Sergio Leones „Per un pugno di dollari“ („Für eine Handvoll Dollar“; 1964) und seinen Epigonen vor allem auf expressive Gesichter und Augen geachtet worden: Tobias Moretti, der den Schurken des Stücks mit fiebriger Intensität spielt, hat strahlend blaue Augen wie einst Franco Nero und Terence Hill. Sam Riley, der frappierend an Lou Castels introvertierte Italowestern-Antihelden bei Damiano Damiani („Quién sabe?“ / „Töte Amigo“; 1966) und Cesare Canevari („¡Mátalo!“ / „Willkommen in der Hölle“; 1970) erinnert und sich schauspielerisch eher am reduzierten „Unterspielen“ der amerikanischen Schule orientiert, hat intensive braune Augen („Nur schauen tut er“, heißt es einmal über seine Figur). Und Paula Beers grüne Augen brennen sich in Großaufnahme geradezu in die Leinwand ein.


Einige explizite Verweise auf die Genregeschichte gibt es freilich auch. Wenn Greider etwa zu Beginn im finsteren Tal ankommt, dann auf einer Straße, die wie in Corbuccis „Django“ (1966) ein einziger Fluss aus Schlamm ist. Bei der folgenden Konfrontation mit Hans Brenner greift Prochaska inszenatorisch auf den ersten Shootout aus „Für eine Handvoll Dollar“ zurück, springt von der Totalen in die Großaufnahme, staffelt Gesichter im Breitwandformat in die Tiefe des Raums und schneidet Serien von extremen Großaufnahmen hintereinander. Die Einstellungen von Reitern im hüfthohen Schnee scheinen direkt aus Sergio Corbuccis nihilistischem Schneewestern „Il grande silenzio“ („Leichen pflastern seinen Weg“; 1968) zu stammen und das Finale wiederum zitiert ausführlich Sam Peckinpahs Zeitlupenästhetik inklusive Schockbildern und exzessivem Einsatz von blood squibs.


Letztlich mag die Daguerreotypie, die der Fremde in das entlegene Hochtal bringt, auch symbolisch für das selbstreflexive Verhältnis des Films zum Heimat- und Westerngenre und seinen verschiedenen Ausprägungen seit den 1960er Jahren stehen. Wenn man Prochaskas Fingerzeig deuten will – im Roman war der Fremde noch Maler – dann ist „Das finstere Tal“ in seinem Verhältnis zum europäischen Genrekino und dem (Italo-)Western selbst eine Art „Gedächtnisspiegel“.


Obendrein wirkt Prochaskas Film mitunter wie eine Wiederbelebung der heute weitgehend vergessenen Tradition der bayerischen Wilderer-Western, die Anfang der 1970er Jahre entstanden und zu deren bekanntesten Vertretern Reinhard Hauffs „Mathias Kneißl“ (1970) sowie Volker Vogelers „Jaider, der einsame Jäger“ (1971) und dessen melancholische Quasi-Fortsetzung „Verflucht dies Amerika“ (1973) zählen: authentisch ausgestattete Quasiwestern, die oft etwas spröder erzählt und strenger gespielt waren als die barock-überzeichneten Italowestern, die sie inspiriert hatten. Wie bei diesen Filmen sind es neben der Stilisierung und den auffälligen Tempoverschleifungen die dokumentarisch anmutenden Elemente wie die Entscheidung, die Bewohner des abgelegenen Alpendorfs Mundart sprechen zu lassen, die in besonderem Maß zur Glaubwürdigkeit der düster-poetischen Geschichte beitragen und der „Das finstere Tal“ einige seiner besten Szenen verdankt. Unvergesslich etwa die Sequenz des ersten Mordes, der sich ereignet, wenn die Männer des Dorfes mitten im Schneetreiben im Wald Holz schlagen und ihre Ausbeute mittels einer ebenso primitiven wie effektiven Konstruktion durch den Wald leiten – Stamm für Stamm, bis schließlich statt dem toten Holz auch ein menschlicher Körper im Tal ankommt.


Das finstere Tal“ erweist sich letztlich als Geschichte von Blut und Gewalt, von traumatischer Vergangenheit und vergifteter Familienbande, von patriarchalischem Terror und später Rache, Schuld und Sühne. Mit diesem Film über „Sachen, die man nicht mehr vergessen kann“, stellt Andreas Prochaska das sonst idyllische Heimatgenre konsequent auf den Kopf. Wenn am Ende dann ein geradezu apokalyptisches Blutgericht über das Dorf niedergeht, sich Vater- und Brudermorde ereignen und eine Melange von Inzest, Wahn und Rachsucht aufgedeckt wird, dann hat dies zugleich die Wucht einer griechischen Tragödie wie die morbide Faszination eines Horrorfilms. Dass der Erlöser mit dem Fotoapparat und der Schusswaffe aus Amerika kommt, dem Sehnsuchtsort der europäischen Träumer und dem Geburtsort des Western-Genres, das wiederum in der Form von Romanen und Filmen etwa zu der Zeit, in der „Das finstere Tal“ spielt, nach Europa kam, ist natürlich auch kein Zufall.

Dieser Text ist zuerst erschienen auf filmgazette.de

DAS FINSTERE TAL (Österreich/Deutschland 2014; Regie: Andreas Prochaska)
Regie: Andreas Prochaska; Drehbuch: Martin Ambrosch, Andreas Prochaska; Produktion: Stefan Arndt, Helmut Grasser; Kamera: Thomas Kienast; Schnitt: Daniel Prochaska; Musik: Matthias Weber; Verleih: X-Verleih; Kinostart (D): 13.02.2014; FSK: ab 12 Jahren; Länge: 115 Min.; Besetzung: Sam Riley, Tobias Moretti, Paula Beer, Hans-Michael Rehberg, Florian Brückner, Franz Xaver Brückner, Clemens Schick, Helmuth Häusler u.a.





Hier noch der Trailer via YouTube:


1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Für mich war DAS FINSTERE TAL ein Überaschungsfilm. Zunächst waren meine Erwartungen nicht sonderlich hoch. Ein Alpen-Western? Wie soll das nur funktionieren? Aber es funktioniert großartig. Die Story ist spannend, auch wenn die Auflösung ein bißchen zu früh verraten wird. Ich bin ja eigenlich kein Freund des blutiges Kino, aber dieser Film hat mir wirklich gefallen.

Hier meine Review: https://filmkompass.wordpress.com/2014/02/27/das-finstere-tal-omu-2014/