Buchrezension
Daniela Sannwald: Lost in the Sixties – Über Mad Men
Fernsehserien sind en vogue. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in einer der großen
Tageszeitungen ein Vergleich zu einer der (gar nicht mal so neuen)
„Qualitätsserien“ gezogen wird – sei es im Wirtschaftsteil, in der
Kommentarspalte oder im Feuilleton. Anfang Mai durfte sich sogar ein schlecht gelaunter
Redakteur auf der Titelseite der Süddeutschen
unter der lyrischen Überschrift „Suff, Sex, Mord“ an der zu diesem Zeitpunkt
erst in den USA ausgestrahlten 4. Staffel der HBO-Serie „Game of Thrones“ abarbeiten
(SZ vom 5. Mai 2014).
Zwar stellte der Autor mit einigen arg aus dem Zusammenhang gerissenen Szenenbeschreibungen und den üblichen kulturpessimistischen Ausschmückungen (zu viel Gewalt, zu viel Sex, zu wenig Moral) vor allem seine begrenzte Kenntnis der aktuellen Serienlandschaft unter Beweis, die doch wesentlich härteren Stoff bereithält. Aber immerhin: Ein Sturm im Wasserglas über die aktuelle Staffel einer Serie, die bei uns noch nicht einmal gezeigt wurde, gilt einer der vier größten deutschen Tagesszeitungen mittlerweile als relevant genug, um auf die Titelseite gehoben zu werden. Das zumindest ist auch eine Botschaft über die gesteigerte Aufmerksamkeit, die Fernsehserien inzwischen zuteil wird.
Zwar stellte der Autor mit einigen arg aus dem Zusammenhang gerissenen Szenenbeschreibungen und den üblichen kulturpessimistischen Ausschmückungen (zu viel Gewalt, zu viel Sex, zu wenig Moral) vor allem seine begrenzte Kenntnis der aktuellen Serienlandschaft unter Beweis, die doch wesentlich härteren Stoff bereithält. Aber immerhin: Ein Sturm im Wasserglas über die aktuelle Staffel einer Serie, die bei uns noch nicht einmal gezeigt wurde, gilt einer der vier größten deutschen Tagesszeitungen mittlerweile als relevant genug, um auf die Titelseite gehoben zu werden. Das zumindest ist auch eine Botschaft über die gesteigerte Aufmerksamkeit, die Fernsehserien inzwischen zuteil wird.
Dabei sind es nicht nur die sogenannten Bildungsbürger,
die sich an den „horizontal“ erzählten, oft „romanhaft“ genannten Serien
erfreuen. Die neuen Serien, die sich durch episch ausgebreitete, verschlungene
Handlungsbögen und eine Vielzahl von ambivalent gezeichneten Haupt- und
Nebenfiguren auszeichnen und sich zunehmend die Schauwerte des Kinos nutzbar
machen, sind längst Mainstream. Sie erreichen nicht nur ARTE-Seher, sondern
auch die RTL 2-Zuschauerschaft. In den Kaufhäusern stapeln sich die DVD-
und Blu-ray-Boxen. Sender wie HBO, AMC und Showtime, die als Produzenten
fungieren, sind plötzlich so bekannt wie große Filmstudios. Und warum auch
nicht: Die Sender lassen sich den Spaß, der auch eine das Image fördernde
Werbemaßnahme ist, tatsächlich einiges kosten. Die erste Staffel von „Game of
Thrones“ (2011ff.) war HBO geschätzte 50 bis 60 Millionen US-Dollar wert, „Rom“
(2005-2007; HBO, BBC & RAI) sogar 100 Millionen. Serien wie „Boardwalk
Empire“ (2010ff.; HBO) spielen in einer ähnlichen Liga; der Pilot von „Lost“ (2004-2010;
ABC) galt schon vor zehn Jahren als teuerster „Fernsehfilm“ aller Zeiten.
Längst versuchen auch in Europa Fernsehsender, die
neue Lust am Erzählen und die damit einhergehenden Freiheiten zu nutzen – in
Frankreich etwa die Polizeiserie „Braquo“ (2009ff.; Canal+), in Italien die
Gangsterserie „Romanzo criminale“ (2008-2010; SKY), im hohen Norden eine ganze
Reihe von Nordic Noirs wie „Forbrydelsen“ („Kommissarin Lund – Das
Verbrechen“; 2007-2012), „Borgen“ (2010ff.) und „Broen“ / „Bron“ („Die
Brücke – Transit in den Tod“; 2011ff.). Nur das deutsche Fernsehen ist in Bezug
auf fiktionales serielles Erzählen (noch?) eine Art Todeszone, sieht man einmal
von der Koproduktionsbeteiligung des ZDF an einigen skandinavischen Serien ab.
Zwar gibt es spezifische, über Jahrzehnte gewachsene autochthone Formate wie „Tatort“
und „Polizeiruf“, die jede Woche ein Publikum von 8 bis 10 Millionen Zuschauern
erreichen. Doch das sind strenggenommen keine Serien, sondern Reihen mit
jeweils abgeschlossenen Einzelfolgen. Als zuletzt das ZDF ankündigte, eine Art
„deutsches ‚Breaking Bad‘“ im Taunus inszenieren zu wollen, sorgte der Sender
mit der geplanten Besetzung von Bastian Pastewka in der Hauptrolle eher für Spott.
Ansonsten arbeitet noch Tom Tykwer für die Degeto an einer historischen Serie mit
dem Arbeitstitel „Berlin Babylon“. Realisiert aber ist noch keines der beiden Projekte.
Auf dem deutschen Büchermarkt dagegen haben sich
die Qualitätsserien schon ihre Nischen erkämpft. Da wäre zum einen die wachsende
Anzahl von wissenschaftlichen Readern und Monografien, wobei letztere meist auf
überarbeiteten Promotionsschriften beruhen. Zum anderen erscheinen in Buchform
immer mehr populärwissenschaftlich ausgerichtete Essays zum Thema. Insbesondere
der Züricher Verlag Diaphanes hat sich hier mit der kleinformatigen, aber
verdienstvollen Reihe „Booklet“ hervorgetan, die einige lesenswerte Essays zum Kanon
der neuen Serien versammelt (besonders lohnend: Daniel Eschkötters Band zu „The
Wire“ und Ekkehard Knörers Bändchen zu „Battlestar Galactica“). Mit „Lost in
the Sixties“ legt Daniela Sannwald nun im Berliner Bertz+Fischer-Verlag, in dem
bereits Essays zu „The Wire“ (Jens Schröter: „Verdrahtet“; 2012) und zur Drastik
aktueller US-Serien erschienen sind (Ivo Ritzer: „Fernsehen wider die Tabus“;
2011), ein Buch zu „Mad Men“ vor, das die neue Reihe „Prime Time“ begründet.
Die Wahl von „Mad Men“ für den Auftakt einer Reihe
zum seriellen Erzählen leuchtet ein. Denn auf Deutsch liegt schlicht noch keine
brauchbare Literatur zu der vielgelobten Serie vor, obwohl diese unter den
neuen Serien der letzten fünfzehn Jahre tatsächlich eine Sonderstellung einnimmt.
Das von Matthew Weiner konzipierte Format, seit 2007 auf dem US-amerikanischen
Pay-TV-Sender AMC zu sehen, setzt weniger auf die harten Lockmittel der neuen
Serien – Sex, Gewalt und exzessiver Gebrauch von Schimpfwörtern –, sondern ist
vor allem ein rauschhaft durchkomponiertes Period
Piece, das ganz darin aufgeht, die Designs und Ideologien, die Kunstströmungen
und (Körper-)Politiken der Jahre von 1960 bis 1969 in siebeneinhalb Staffeln in
atemberaubendem Retro-Chic aufleben zu lassen. Außergewöhnlich ist dabei die
Entscheidung der Serienmacher, innerhalb der bis ins kleinste Detail
durchkomponierten Arrangements von Zeitbildern sogar die Körper der
Schauspieler den damaligen Schönheitsidealen entsprechend in das Konzept einzubeziehen,
etwa durch die Besetzung der nach heutigen Idealen „zu üppigen“ Schauspielerin Christina
Hendricks als resolute Sekretärin Joan. Oder die Verpflichtung Jon Hamms für den
Protagonisten Don Draper, der im Zentrum der multiperspektivisch erzählten Saga
über die kleinen und großen Intrigen und Machenschaften der Werbetexter der New
Yorker Madison Avenue steht. Sehr treffendend beobachtet Daniela Sannwald auf
S. 105 ihrer Studie „Lost in the Sixties“: „Don Draper jedenfalls ist in jeder
Zoll der erfolgreiche Geschäftsmann der 1960er: ordentlich in Einreiher, weiße
Hemden, schmale Schlipse und glänzende Schnürschuhe gekleidet, mit exakt
gescheiteltem, brillantine-glänzendem, klassischem Fassonschnitt und
männlich-markanten Gesichtszügen unterm Trilby. Und selbst die Physis des
Darstellers Jon Hamm – eher breit und kräftig als athletisch durchtrainiert –
passt zum männlichen Erscheinungsbild jener Dekade, in der Mittelschichtmänner
schon in jungen Jahren gesetzt wirken mussten, um von ihresgleichen ernst
genommen zu werden und damit teilzuhaben an der uneingeschränkten Macht ihrer
Klasse“. Es sind solche bewusst getroffenen produktionstechnischen
Entscheidungen der Serienmacher hinsichtlich Besetzung und Ausstattung, die „Mad
Men“ so erfolgreich als Mimikry an eine Ära mit ihrer Ästhetik und ihren dominanten
Themen funktionieren lassen – eine Sorgfalt zudem, die früher ausschließlich
dem Kino vorbehalten war, das finanziell in der Lage war, diesen Aufwand zu
betreiben.
Daniela Sannwald strukturiert ihren 140-seitigen
Streifzug durch den „Mad Men“-Kosmos anhand von acht Figuren, denen sie jeweils
ein Kapitel widmet und die in besonderem Maß für kulturelle Strömungen und
Konzepte wie Klasse, „Rasse“, Geschlecht innerhalb der Serie stehen. Da wären
etwa die „Karrierefrau“ Peggy Olsen (Elisabeth Moss), der Vertreter der
„Männlichkeit in der Krise“ Don Draper oder der Repräsentant der
Kriegsgeneration Roger Sterling (John Slattery). Das abschließende Kapitel ist
der Figur der jungen afroamerikanischen Sekretärin Dawn Chambers (Teyonah
Parris) gewidmet, die von der Autorin als Symbol für den Einzug ethnischer
Minderheiten in die Mitte der Gesellschaft gelesen wird – und als Beleg für den
unbestreitbaren Rassismus der WASP-Gesellschaft von „Mad Men“, die in den
bislang veröffentlichten 86 Folgen klar den Ton angibt. Diese Struktur ist durchaus
konsequent, da „Mad Man“ als typischer Vertreter der gegenwärtigen drama series vor allem character-driven ist, also sich vor
allem durch die Orchestrierung ihrer Figuren und deren Entwicklung über den
Lauf vieler Jahre auszeichnet: Aufstieg und Fall; Rückschläge und Niederlagen; überraschende
Comebacks und unerwartete Schicksalsschläge; periodischer Größenwahn und das
Abgleiten in ganz realen Wahnsinn, Alkoholismus und Sexsucht; das Scheitern von
Ehen und Freundschaften; Einkehr und Retrospektion – das alles ist für die
einzelnen Figuren möglich. Und jeder Aspekt davon hat das Potential, etwas über
die sechziger Jahre zu erzählen.
„Lost in the Sixties“ ist genau beobachtet, gut
geschrieben und überzeugend argumentiert. Auch die 30 Bilder sind intelligent
ausgewählt und belegen anschaulich, dass die Serienmacher sich an realen Werbekampagnen
der Zeit orientiert haben, die selbst Geist und Ungeist der Ära bündelten.
Besonders aufschlussreich ist hier z.B. die auf Seite 13 reproduzierte
Werbeanzeige der Daisy Manufacturing Company, die 1966 in der Zeitschrift „Boys‘
Life“ erschien, und in der der Hersteller seine Gewehre als ideales
Kindergeschenk (!) zu Weihnachten anpreist – die Werbezeile „Daisy will make it
a Christmas to remember“ klingt heute eher wie eine Drohung. Weniger überzeugen
die immer wieder von der Autorin gezogenen Parallelen zur bundesdeutschen
Gesellschaft dieser Jahre – speziell angesichts eines Gegenstandes, der klar im
Herzen der US-amerikanischen Populärkultur verankert ist. Auch wünscht man sich
manchmal, die Analyse würde öfter über den reinen „Text“ der Serie herausgehen und
stärker formale Gestaltungsmittel, Schauspiel und dramaturgische Entwicklungen innerhalb
der Serie berücksichtigen, zu denen etwa das zunehmende Abgleiten in an Sitcoms
erinnernde Szenarien zählt, das ab der sechsten Staffel auffällt. Das sind aber
nur kleine Kritikpunkte. Insgesamt liegt mit Daniela Sannwalds Studie eine lesenswerte
und kurzweilig geschriebene Einführung in das „Mad Men“-Universum vor, die ein gelungener
Auftakt zu der neuen Reihe „Prime Time“ ist.
Dieser Text ist zuerst erschienen auf
filmgazette.de
Daniela Sannwald: Lost in the Sixties – Über Mad Men
Bertz+Fischer; Berlin 2014; Reihe Prime Time, Bd. 1
148 Seiten; 30 Fotos; Paperback; 10,5 x 14,8 cm
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