Buchrezension
Irsigler / Lembke / Strank (Hg.): Actionkino – Moderne Klassiker des
populären Films
Für den mit akademischen Gepflogenheiten nicht
vertrauten Leser muten Aufsatzsammlungen aus dem film- und
medienwissenschaftlichen Umfeld oft wie willkürliche Zusammenstellungen von
Einzeltexten an, deren Relevanz zum jeweiligen Thema sich mal mehr, mal weniger
überzeugend erschließt. Das Ergebnis ist für die Leser meist nur wenig
befriedigend, auch da die so zusammengestellten Essays oft von
unterschiedlicher Qualität sind und eine gemeinsame Methodik fehlt.
Auch der von Ingo Irsigler, Gerrit Lembke und Willem
Strank herausgegebene Band zum Actionkino, der kürzlich in der Reihe „Deep
Focus“ des verdienstvollen Bertz + Fischer-Verlages erschienen ist, bestätigt
einige dieser strukturellen Probleme akademischer Publikationstradition. Die
acht Einzelaufsätze des 176-seitigen Sammelbandes basieren auf einer
Vortragsserie, die 2012 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gehalten
wurde. Finanziert wurde die Publikation u.a. mittels der Crowdfunding-Plattform
Sciencestarter. Die Autoren sind zumeist Wissenschaftliche Mitarbeiter oder
Doktoranden und stehen überwiegend am Anfang ihrer akademischen Karrieren. Die
behandelten Filme, die im Untertitel des Bandes zutreffend als „Moderne
Klassiker des populären Films“ identifiziert werden, sind fast ausschließlich
US-amerikanische Kinofilme und -serien, die im Zeitraum von Anfang der 1970er
Jahre bis heute entstanden sind. Filme aus Asien, Afrika und den europäischen
Kinematografien (abgesehen von der multinationalen James-Bond-Produktion
„Casino Royale“; 2006) sucht man hier ebenso vergebens wie Independent-Filme,
Direct-to-Video-Produktionen (bzw. Direct-to-DVD/BD/DL-Veröffentlichungen) oder
Titel, die im weitesten Sinn abseits des US-amerikanischen oder
mitteleuropäischen Mainstreams entstanden sind. Diese Auswahl kann (und sollte)
man ob ihrer von den Herausgebern nicht reflektierten eurozentrischen
Ausrichtung kritisieren. Aber immerhin ergibt sich durch den eng begrenzten
Untersuchungsgegenstand ein Korpus von Filmen, die durch Produktionsbedingungen
und kulturelle Bezugspunkte vergleichbar sind.
Da der Begriff „Actionkino“ recht vage ist und nur wenige brauchbare Studien zum Thema vorliegen, versuchen sich die Herausgeber in ihrem gemeinsam verfassten Einleitungstext zunächst an einer Gegenstandsbestimmung, die Klarheit darüber schaffen soll, was ein Actionfilm eigentlich ist bzw. woran man einen solchen überhaupt erkennt. Diese an und für sich gute Idee überzeugt in ihrer Umsetzung und trotz pflichtschuldig vorgebrachter Differenzierungen und dem vorangestellten Eingeständnis der Subjektivität der Filmauswahl nur eingeschränkt. Denn zum einen setzen die hier aufgestellten „Elf Thesen zum Actionfilm“ voraus, dass es den „schwer greifbaren“ Untersuchungsgegenstand überhaupt gibt. Die Frage, ob es zielführend ist, ein Genre „Actionfilm“ zu postulieren, bleibt offen, die generische Zuschreibung „Actionfilm“ für die Filme, die als Grundlage der zu erarbeiteten Genremerkmale dienen, erscheint wie auch die Begrenzung auf nach 1970 entstandene Produktionen willkürlich. Zudem: Was ist Action überhaupt? Basiert Film nicht ganz grundsätzlich schon auf Bewegung – als Abfolge von Einzelbildern, inhaltlich als Darstellung physischer Aktionen und dramaturgisch als Versuch, das Publikum emotional zu bewegen? Sam Fuller hat es in Godards „Pierrot le fou“ („Elf Uhr Nachts“; 1965) einst sehr schön formuliert: „Film is like a battleground. Love. Hate. Action. Violence. Death. In one word: emotion!“
Sicher könnte es interessant sein, „Dirty Harry“
(1971) oder „Terminator 2: Judgment Day“ (1991) aus einer anderen
(Genre-)Perspektive als der des Polizeifilms/Thrillers bzw. der
Science-Fiction-Dystopie zu betrachten. Tatsächlich aber bietet die hier
vorgestellte Analyse dieser Filme als jeweils prototypische Actionfilme keine
neuen oder originellen Erkenntnisse. Auch die in der Einleitung gelieferte
Auflistung typischer Eigenschaften des Actionfilms, die doch Grundlage der
folgenden Analysen sein sollte, enthält zwar einige durchaus einleuchtende
Definierungsansätze, etwa wenn Actionfilm als flexibles Konstrukt oder als
„Hybridgenre“ mit Fokus auf Bewegung, Körperlichkeit, spezifischen
Heldenfiguren, Nummerndramaturgie etc. beschrieben wird. Andere Thesen muten
jedoch weit hergeholt an, etwa der an einen Essay Umberto Ecos angelehnte Vergleich
zur Pornografie (Umberto Eco: Wie man einen Pornofilm erkennt; 1989) – wenn es
um Körperlichkeit, Artistik, Episodenhaftigkeit geht, könnte etwa genauso gut
die Slapstick-Komödie als Analogie gewählt werden. Ausführungen zur „coolness“
des Actionfilms und seiner Helden gelingt es ebenfalls nur eingeschränkt,
Trennschärfe zu anderen Genres zu schaffen.
Hier und in einigen der folgenden Aufsätze entsteht der Eindruck, dass Actionfilm schlicht qua Setzung zum „Genre“ erhoben wird, was sich dann wiederholt in klassischen Tautologien niederschlägt. So schreibt Dominik Orth in seinem Aufsatz zur „Mission: Impossible“-Reihe auf S. 98 zum Beispiel, dass es „in Ermangelung eines unumstrittenen Katalogs von notwendigen Genreelementen (…) sinnvoll (sei), vor dem Hintergrund von ‚Prototypen‘ des Genres, die im Rahmen eines ‚lebendigen Genrebewusstseins‘ im Diskurs virulent sind, die einzelnen Filme zu betrachten. Als relevante Prototypen können dabei – nicht nur aus pragmatischen Gründen – die in diesem Band diskutierten Filme gelten, da sie durch die Aufnahme in eine Publikation, die ihnen durch den Untertitel Moderne Klassiker des populären Films einen gewissen Status innerhalb ihres Genres zuweist, zu einem Bewusstsein von genrekonstitutiven Elementen und Merkmalen beitragen, das durch eben diese Filme geprägt wird.“ Anders formuliert: Die Filme, die in diesem Buch behandelt werden, sind Prototypen des Actionfilms, weil sie in diesem Buch behandelt werden. Und wenn man anhand der Eigenschaften dieser Filme typische Merkmale von Actionfilmen bestimmt und diese an den ausgewählten Filmen sucht, dann kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass die vorliegenden Filme eben diese Kriterien erfüllen – und Actionfilme sind. Das ist eine zugegebenermaßen polemische Zuspitzung, trifft aber durchaus auf einige hier vertretene Argumentationsmuster zu.
An die Einleitung schließen insgesamt acht Essays
an, die jeweils einen Einzelfilm oder eine Filmserie en détail untersuchen:
Willem Strank schreibt über die „Dirty Harry“-Reihe (1971-1988), Gerrit Lembke
über „First Blood“ („Rambo“; 1982), Eckhard Pabst behandelt „The Terminator“
(1984) und „Terminator 2: Judgment Day“ (1991), Ingo Irsigler „Die Hard“
(„Stirb Langsam“; 1986), Dominik Orth analysiert die „Mission:
Impossible“-Reihe (1996ff.), Christoph Rauen untersucht „Kill Bill, Vol. 1
& 2“ (2003 & 2004) und Jan Tilman Schwab das Bond-Reboot „Casino
Royale“ (2006), bevor sich Gerrit Lembke abschließend den ersten beiden
„Expendables“-Filmen (2010 & 2012) widmet. Die Einzelaufsätze unterscheiden
sich deutlich in ihrer Qualität und im Einsatz akademischen Jargons, stellen
aber überwiegend gute Einführungstexte zu ihrem jeweiligen
Untersuchungsgegenstand dar. Eher enttäuschend ist der Eröffnungsaufsatz zu den
„Dirty Harry“-Filmen, der den unzähligen (populär-)wissenschaftlichen Essays zu
Don Siegels Klassiker und seinen Fortsetzungen nichts Neues hinzufügt. Der
folgende Aufsatz zu „First Blood“ wiederum erweist sich als einer der
Höhepunkte der Textsammlung. Er ist nicht nur gut geschrieben, sondern auch
ergiebig im Hinblick auf diesen vielschichtigen und widersprüchlichen
Klassiker, der sich, so die These, durch eine „zeichenhafte Offenheit“
auszeichnet. Der folgende Aufsatz zu den „Terminator“-Filmen James Camerons
leidet etwas am sehr autorenzentrierten Ansatz, ist aber ebenso wie der Aufsatz
zu „Traditionsbezügen und Wertediskursen in ‚Die Hard‘“, in dem Westernmotive
herausgearbeitet werden, durchaus lesenswert und enthält einige interessante
Beobachtungen. Der oben bereits ausführlich zitierte Essay zur „Mission:
Impossible“-Serie dagegen bietet vor allem Wissenschaftsprosa, letztlich aber
wenig überraschende Beobachtungen. Die abschließenden Aufsätze zu „Kill Bill“,
„Casino Royale“ und den „Expendables“-Filmen verorten ihren Untersuchungsgegenstand
durchaus überzeugend innerhalb der von den Filmen selbst angebotenen
Referenzräume von Genre- und Exploitationkino („Kill Bill“), Serienikonografie
(„Casino Royale“) und Star-Images (die „Expendables“ als „Akkumulation von
Starkapital“).
Mit dieser Auswahl erweist sich „Actionkino“
insgesamt als empfehlenswerte Aufsatzsammlung für Einsteiger und ist – wie von
dem Verlag gewohnt – mit knapp 90 exzellent reproduzierten Bildern anschaulich
illustriert. Leser, die mit der Materie besser vertraut sind oder gar
Grundlagentexte zum Thema erwarten, kommen allerdings nicht so recht auf ihre
Kosten, da hier genrehistorisch kein Neuland betreten wird und ausschließlich
Filme besprochen werden, zu denen bereits unzählige akademische Aufsätze
vorliegen. Eine verlockende Idee wäre es, einmal Aufsätze zu B-Filmen wie
„Walking Tall“ („Der Große aus dem Dunkeln“; 1973) und „Rolling Thunder“ („Der
Mann mit der Stahlkralle“; 1977), zu der „Death Wish“-Reihe mit Charles Bronson
(1974-1987) oder zu stärker dem Genrekino verhafteten Nebenwerken von Stars wie
Stallone und Schwarzenegger zu versammeln – also statt „Terminator 2“ und
„First Blood“ zum Beispiel „Commando“ („Das Phantom Kommando"; 1985), „Raw Deal“
(„Der City Hai“; 1986) oder „Cobra“ („Die City-Cobra“, 1986) in den Fokus zu
rücken. Und vor allem die zahlreichen bemerkenswerten Genrebeiträge, die in den
letzten Jahrzehnten u.a. in China, Japan und Südkorea entstanden sind, sollten
ähnlich wie Werke neuer Genre-Auteurs wie Gareth Evans („Serbuan maut“ / „The
Raid“, 2011; „The Raid 2: Berandal“; 2014) oder John Hyams („Universal Soldier:
Day of Reckoning”, 2012) endlich auch im akademischen Diskurs berücksichtigt
werden. In diesem Sinn gibt es noch einiges zu tun. Vielleicht könnten die
Herausgeber ja bei einem möglichen Folgeband nach dem eher konservativen Kanon
auch im universitären Diskurs bislang marginalisierte Produktionen stärker
berücksichtigen. Hier lockt die Möglichkeit, auch im akademischen Bereich
Neuland zu betreten.
Dieser Text ist zuerst erschienen auf Splatting Image
Ingo Irsigler / Gerrit Lembke / Willem Strank (Hg.): Actionkino –
Moderne Klassiker des populären Films (Deep Focus, Bd. 19), Berlin 2014, Bertz
+ Fischer Verlag, 16,90 Euro
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