Mittwoch, 6. April 2011

Enter the posthistoire … - SUCKER PUNCH von Zack Snyder



„Sucker Punch”

(„Sucker Punch“; Regie: Zack Snyder; USA-CAN 2011)


Im Fernsehen gibt es keine Videoclips mehr. Bevor MTV zum Bezahlsender umfunktioniert wurde, liefen selbst hier nur noch „Jackass“ und „South Park“, debile Datingshows und „Pimp-my“-Was-auch-immer-Formate in Dauerschleife. Angesichts dieser offensichtlichen Lücke erbarmt sich manchmal das Kino mit Filmen wie „Sucker Punch“. In vieler Weise wirkt Zack Snyders Film wie eine Zeitreise zurück in die 1980er Jahre, als Regisseure wie Adrian Lyne mit Filmen wie „Flashdance“ (1983) Musikvideos im Spielfilmformat produzierten – oder wahlweise Videoclips auf Spielfilmlänge aneinander reihten. Snyder ist nur konsequent, wenn er „Sucker Punch“ neben einem Nichts an Alibirahmenhandlung als reine Nummernrevue strukturiert, deren an Videospiele angelehnte Einzelclips als Tagtraum der Heldin „Baby Doll“ (Emily Browning) ausgegeben werden.

Sonntag, 20. März 2011

Interview mit Lou Castel in Splatting Image # 85



Interview mit Lou Castel

Seit Mitte März 2011 ist die neue Ausgabe der “Splatting Image”, des Berliner Magazins für den unterschlagenen Film, erhältlich – inklusive eines langen Interviews, das ich mit dem Schauspieler und Regisseur Lou Castel geführt habe.

Old school: "Faster" von George Tillman Jr.


"Faster"

("Faster"; Regie: George Tillman Jr.; USA 2011)


Im Werk von John Ford gab es einen heimlichen Star, den das große Publikum nie richtig wahrnahm. Der 1914 geborene Woody Strode war Profi-Football-Spieler und Wrestler, bevor er Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre zum Film kam und zunächst in Nebenrollen auftrat. Für Ford, mit dem er eng befreundet war, spielte er in den 60er Jahren den aufrechten "Sergeant Rutledge" ("Mit einem Fuß in der Hölle"; 1960), den muskulösen Comanchen Stone Calf in "Two Rode Together" ("Zwei ritten zusammen"; 1961) und John Waynes loyalen Assistenten Pompey in "The Man Who Shot Liberty Valance" ("Der Mann, der Liberty Valance erschoss"; 1962). Eine eindrucksvolle Nebenrolle hatte Strode in "Spartacus" (1960), in dem er den äthiopischen Gladiator Draba spielte. Danach verschlug es den 1,93 Meter großen Athleten für einige Filme nach Europa, wo er in der Exposition von Sergio Leones "C’era una volta il West" ("Spiel mir das Lied vom Tod"; 1968) seinen ersten wirklich großen Auftritt erhielt. In den folgenden Jahren wurde Strode zur Ikone vordergründig harter Männlichkeit, hinter deren Fassade doch immer die Sensibilität des Außenseiters zwischen den Kulturen durchschien. Der Sohn afroindianischer Eltern mit dem markanten, kahlgeschorenen Schädel und der herkulischen Physis trat in B-Pictures von Fernando di Leo auf, etwa in "La Mala Ordina" ("Der Mafia-Boss – Sie töten wie Schakale"; 1972), er spielte einen an Lumumba angelehnten Politiker in Valerio Zurlinis "Seduto alla sua destra" ("Töten war ihr Job"; 1968), der in den USA als "Black Jesus" verliehen wurde. Eine seiner letzten Rollen hatte er als 80jähriger in Mario Van Peebles' postmodernem Western "Posse" (1993), in dem er der MTV-Generation eine Geschichtslektion über die vergessenen afroamerikanischen Cowboys erteilen durfte.

Dwayne "The Rock" Johnson ähnelt Woody Strode in vieler Weise

Film Stupid: „Drive Angry 3D“ von Patrick Lussier

 
„Drive Angry“

(„Drive Angry 3D“; Regie: Patrick Lussier; USA 2011)

Nicolas Cage braucht Geld. Viel Geld. Anders lässt es sich kaum erklären, dass der mittlerweile 47-jährige Schauspieler in den letzten Jahren nicht nur omnipräsent im Kino ist, sondern abgesehen von Ausnahmen wie „Bad Lieutenant – Port of Call New Orleans“ (2009; Werner Herzog) und dem poppig-verspielten „Kick-Ass“ (2010; Matthew Vaughn) fast durchgehend in Filmen auftritt, die stupend blöde sind. Filme wie „Season of the Witch“ („Der letzte Tempelritter“; Dominic Sena, 2011), „The Sorcerer's Apprentice“ („Duell der Magier“; 2010; Jon Turteltaub) und das überflüssige „The Wicker Man“-Remake von Neil LaBute (2006) sind bestenfalls überflüssig, in der Regel aber eine Beleidigung des Publikums. Dabei hatte alles so gut angefangen: mit Filmen wie „Rumble Fish“ (1983) und „Cotton Club“ (1984) von seinem Onkel Francis Ford Coppola, „Birdy“ (1984) von Alan Parker, „Raising Arizona“ („Arizona Junior“; 1987) von den Coen-Brüdern und „Wild at Heart“ (1990) von David Lynch. Irgendwann kamen dann die beiden Über-Hollywood-Produzenten Don Simpson und Jerry Bruckheimer und Filme wie „The Rock“ (1996; Michael Bay) und „Con Air“ (1997; Simon West). Und Cage wurde von Actor zum Overactor zur Comicfigur.

Die Leiden des jungen Xavier: „J'ai tué ma mère“ von Xavier Dolan



„J'ai tué ma mère“
(„I Killed My Mother“; Regie: Xavier Dolan; Kanada 2009)

Hubert Minel (Xavier Dolan) ist 17, schwul und pubertiert heftig. Da er seinen Vater seit Urzeiten nicht mehr gesehen hat, bekommt seine alleinerziehende Mutter seine ganzen Stimmungsschwankungen ab: Wut und Verachtung, blanker Hass und zärtliche Zuneigung, kurz: alles was in ihm rumort. Hubert hasst seine Mutter Chantale (Anne Dorval), Hubert liebt seine Mutter. Er braucht sie, und er will von ihr loskommen. Am besten in die eigene Bude. Und seine Mutter treibt ihn – wie alle Eltern in dieser Zeit – zur Weißglut: Sie ist inkonsequent in ihren Entscheidungen – mal sagt sie, er dürfe ruhig ausziehen, dann untersagt sie es ihm. In einem Moment will sie Familie spielen – Sie: „Frag mich doch mal wieder, wie es auf der Arbeit war?“ – Er: „Wenn irgendwas gewesen wäre, hättest du es doch sowieso erzählt.“ – im anderen schickt sie ihn auf ein Internat, weg von sich und seinem neuen Freund Antonin (François Arnaud). Nun soll er raus aus der Stadt, die er so liebt, aufs Land zu den Hinterwäldlern. Da dreschen sie gutaussehende kleine Schwule, die es wagen, in der Dorfdisko mit anderen Schülern rumzuknutschen, mal einfach so zusammen. Was für eine Misere.

Jahresbestenliste 2010


Die Filmgazette hatte für ihren Kritiker-Poll 2010 um meine Lieblingsfilme des vergangenen Jahres gebeten. So problematisch solche Aufstellungen sind – manchen Film vergisst man; manche hinterlassen einen guten Eindruck, der womöglich keiner zweiten Sichtung stand hält; wieder andere habe ich schlicht verpasst – hier meine Top-10, die allerdings nur Filme beinhaltet, die 2010 in deutschen Kinos zu sehen waren. Ansonsten wären Debra Graniks großartiger „Winter’s Bone“ (USA 2010) und Darren Aronofskys „Black Swan” (USA 2010) ebenfalls auf der Liste vertreten gewesen, die ich bereits 2010 gesehen habe, die beide jedoch erst 2011 bei uns herauskommen.

Sonntag, 30. Januar 2011

COMIN' AT YA! – Berlinale Screening am 12. Februar 2011!



Im Rahmen des „European Filmmarket” veranstalten der Prozent und das US-amerikanische Fanzine „Fangoria“ eine Vorführung des 3-D-Italowesternklassikers „Comin’ at Ya!“ („Alles fliegt dir um die Ohren“; 1981) von Ferdinando Baldi in einer neu restaurierten Fassung.

Bis heute ist „Comin’ at Ya!“ der einzige 3-D-Italowestern. In den USA wurde der 1981 erstaufgeführte Low-budget-Film allem als 3-D-Spektakel vermarktet (Werbezeile: „It’s back! It’s bigger! It’s better! And it’s … Comin’ at Ya!“) und wurde zu einem ungeahnten Kassenerfolg. Tatsächlich war „Comin’ at Ya!“ der maßgebliche Auslöser der ersten großen Welle an 3-D-Filmen seit den 50er-Jahren in den USA. Obwohl er mangels ausreichender 3-D-Brillen nur in 200 US-Kino lief, spielte er laut seinem Produzenten Gene Quintano alleine in Nordamerika 25 Millionen ein (andere Quellen nennen 12 oder 15 Millionen).

Counting Down the Genres ... : Clint Eastwoods HEREAFTER



„Hereafter“
(„Hereafter – Das Leben danach“; USA 2011; Regie: Clint Eastwood)


Clint Eastwood hat sich in seiner mittlerweile 40-jährigen Karriere als Regisseur an fast allen Genres versucht, die das Kino zu bieten hat: Er hat Western gedreht wie „High Plains Drifter“ („Ein Fremder ohne Namen“; 1973) und „Unforgiven“ („Erbarmungslos“; 1992). Er hat Thriller inszeniert, etwa „Play Misty For Me“ („Sadistico“; 1971) oder „The Changeling“ („Der fremde Sohn; 2008), Polizei- und Gangsterfilme wie „Sudden Impact“ („Dirty Harry kommt zurück“; 1983) und „Perfect World“ (1993), einige Kriegsfilme, darunter den ruppigen „Heartbreak Ridge“ (1986) und das düstere Diptychon „Flags of Our Fathers“ / „Letters From Iwo Jima“ (2006), auch Melodramen („Breezy“; 1973), Biopics („Bird“; 1988) und eine Musikdokumentation („The Blues – Piano Blues“; 2003). Selbst eine Sci-Fi-Komödie („Space Cowboys“; 2000), ein Boxer(innen)film („Million Dollar Baby“, 2004) und eine bizarre Mischung aus Berg-, Abenteuer- und Spionagefilm („The Eiger Sanction“ / „Im Auftrag des Drachen“; 1975) finden sich in seiner Filmografie. Mittlerweile sind das 32 Werke, viele gute und sehr gute Filme, manche davon Meisterwerke, wieder andere eher Konfektionsware.

Auf Teufel komm raus …: DEVIL von John Erick Dowdle



„Devil”
(„Devil“; USA 2010; Regie: John Erick Dowdle)

Der Anfang ist wunderschön: Da fliegt Tak Fujimotos entfesselte Kamera über den Delaware River auf Philadelphia zu, setzt über die Benjamin Franklin Bridge hinweg, überfliegt Kirchen, glitzernde Glasfassaden und protzigen Hochhäuser – und dabei steht die ganze Zeit die Welt buchstäblich Kopf. Denn Fujimoto, der höchst begabte Kameramann von u.a. „The Silence of the Lambs“ („Das Schweigen der Lämmer“; 1991) hat seine Kamera um 180 Grad gekippt. Auch inhaltlich passt das, handelt „Devil“ doch von der Anwesenheit des Teufels in unserer heutigen modernen Welt. Und bekanntlich verkehrt der Herr der Fliegen ja alles in sein Gegenteil. Warum also nicht zumindest den Vorspann über die Welt verkehren, das Unterste nach oben stürzen, Himmel und Erde, Nord und Süd, Ost und West vertauschen, bis einem im dunklen Kinosaal vor der großen Scope-Leinwand ganz schwindelig wird?

Männerfantasien: STALAGS von Ari Libsker




„Stalags“
(„Pornografie & Holocaust”; Israel 2008; Regie: Ari Libsker)


„Pornografie & Holocaust“ – was für ein Titel. So subtil wie einige der Exploitationklassiker des italienischen Trashkinos, sagen wir einmal, Joe D’Amatos aka Aristide Massaccesis „Porno holocaust“ („Insel der Zombies“; 1981) oder Cesare Canevaris abseitig-bösartige Geschmacksverirrung „L’ultima orgia del III Reich“ („Gestapo’s Last Orgy“; 1977). Im Original hieß Ari Libskers mit israelischer Filmförderung entstandener Dokumentarfilm seinem Thema gemäß schlicht „Stalags“.

Donnerstag, 30. Dezember 2010

Riot in Cell 211: Daniel Monzóns CELDA 211



CELDA 211
(„Cell 211“; E-F 2009, Regie: Daniel Monzón)

Zwei Hände, ein Feuerzeug; Dunkelheit, hartes Seitenlicht von Links. Ein hagerer Mann erhitzt einen Zigarettenfilter, formt den heißen Kunststoff mit bloßen Fingern, schleift ihn am Boden seiner Zelle so lange, bis er eine scharfe Klinge gefertigt hat. Dann öffnet er sich damit über dem Waschbecken die Pulsadern. Die Kamera registriert diese Selbsttötung, distanziert-beobachtend, abwartend, um dann ins Schwarzbild abzublenden. Ein pessimistischer Auftakt für einen pessimistischen Film, genauer: einen Gefängnisfilm, dem vom Sujet her sowieso schon düsteren Genre par excellence.

Samstag, 11. Dezember 2010

Mexploitation: MACHETE


MACHETE
(USA 2010; Regie: Robert Rodriguez)

Machete Cortez ist tough as nails, bad to the bone, kurz: a motherfucker as bad as they come. Er ist alles andere als schön, zumindest im herkömmlichen Sinn. Sein Gesicht ist runzelig und pockennarbig wie eine Mondlandschaft, sein Köper bullig und massiv, seine langen ungebändigten Haare ölig, im Gesicht thront ein schwarzer Walrossbart. Danny Trejo spielt diesen Machete – ein archetypischer Bad-guy-Darsteller, dessen reales Leben ihn für solche Rollen zu prädestinieren scheint: schon in jungen Jahren drogenabhängig und kleinkriminell, insgesamt elf Jahre im Knast, u.a. in San Quentin für Drogendelikte und bewaffnetem Raub, bevor er als Schauspieler zu sich und weg von der Straße fand.

Montag, 1. November 2010

Style and Substance: IO SONO L’AMORE


IO SONO L’AMORE / I AM LOVE
(Italien 2009; Regie: Luca Guadagnino)

Über Jahrzehnte wurde das italienische Nachkriegskino weltweit für seine visuelle Opulenz bewundert. Luchino Viscontis erlesene Ausstattung, Federico Fellinis überbordende Bildimagination und Sergio Leones barocker Ikonoklasmus haben, um nur drei Beispiele zu nennen, die Filmgeschichte geprägt; Kameramänner wie Vittorio Storaro, Tonino Delli Colli und Giuseppe Rotunno uns neu sehen gelernt. Die Bildermacht des italienischen Kinos resultierte zum einen in den exzellenten Kameramännern und Technikern der italienischen Filmindustrie, zum anderen in der Bevorzugung des Bildes gegenüber der Tonspur, die sich etwa in der lange Zeit bevorzugten Arbeitsweise italienischer Filmteams ohne direkten Ton niederschlug. Hier bedeuteten die Bilder – wie im Stummfilm – noch alles.

Dienstag, 26. Oktober 2010

Es war einmal in Irland - Neil Jordans ONDINE


„Ondine – Das Mädchen aus dem Meer“
(Irland-USA 2009; Regie: Neil Jordan)

Es war einmal ein Fischersmann, der fuhr jeden Tag aufs Meer hinaus. Er war ein stiller, einsamer Mann, der sich allein und auf See am wohlsten fühlte. Als er eines Tages sein Netz einholte, da fand er dort statt einem Fisch eine junge, bildschöne Frau. Sein Fang hatte keinen Namen und keine Erinnerung an ihr früheres Leben und so wählten sie gemeinsam den Namen Ondine. Und da die Frau, die aus dem Meer kam, scheu war, scheuer noch als der Fischersmann, und andere Menschen fürchtete, blieb sie bei dem Fischer, der schnell Gefallen an ihr fand. Bald nahm er die Frau aus dem Meer mit auf See und wenn sie für ihn in ihrer fremden Sprache sang, dann blieben seine Netze nicht mehr leer, sondern waren mit Hummer und Lachsen gefüllt. Bald wollte der Fischersmann seine neue Begleiterin nicht mehr missen und auch seine Tochter, die an einer schrecklichen Krankheit litt, gewann die Frau aus dem Meer lieb. Doch die Frau aus dem Meer war keine Meerjungfrau, sondern eine ganz normale Frau mit einer nicht ganz normalen Vergangenheit. Und so kam es, dass eines Tages ein Mann ganz in Schwarz aus einem fernen Land tief im Osten Europas in das kleine Fischerdorf kam, um die Frau aus dem Meer zu suchen.

Samstag, 9. Oktober 2010

Citizen Nerd – THE SOCIAL NETWORK




“The Social Network” (“The Social Network”)


David Fincher ist erwachsen geworden. Bislang war der Filmemacher, der in den 1980er Jahren bezeichnenderweise als Videoclipregisseur und Trickfilmzeichner für Blockbuster wie „Rückkehr der Jedi-Ritter“ und „Die unendliche Geschichte“ angefangen hatte, vornehmlich als höchst begabter Ästhet aufgefallen; als jemand, der einen guten Effekt, sei es dramaturgischer oder visueller Art, so sehr zu schätzen wusste, dass seine Filme zwar äußerlich perfekt, doch inhaltlich mitunter etwas gehaltlos wirkten.

Donnerstag, 30. September 2010

Southern Gothic – THE LAST EXORCISM


“The Last Exorcism” (“Der letzte Exorzimus”)


Jesus selbst sein ein Exorzist gewesen, erklärt der charismatische Prediger Cotton Marcus (Patrick Fabian) dem Filmteam, das sich aufgemacht hat, einen modernen Dämonenaustreiber zu porträtieren. Doch Marcus, einst ein eifernder evangelikaler Priester und noch immer praktizierender Exorzist, glaubt schon lange nicht mehr an den Teufel. Exorzismen betrachtet er eher als einen Gemeindedienst, das letztmögliche Mittel, wenn Schulmedizin und Psychiatrie nicht mehr helfen. Nebenbei sind sie eine gute Einkommensquelle für den Prediger. Und so sind seine Exorzismen allesamt Scharlatanerie, bei der geschickt platzierte Drähte, Soundeffekte und theatralische Mimik zum Einsatz kommen. Meist reicht das aus, den oder die „Besessene“ zur Räson zu bringen, gewissermaßen als spirituelles Placebo. Nun aber will der Priester aus dem Geschäft aussteigen. Ein fehlgeschlagener Exorzismus an einem autistischen Jungen hat ihn endgültig vom Glauben an sein Tun abgebracht. Nur einen allerletzten Exorzismus will er noch durchführen, dem Dokumentarteam zuliebe, und dabei alle seine Tricks aufdecken. Dass es dieser letzte Exorzismus in sich haben wird, daran zweifelt niemand, der mehr als einen Horrorfilm gesehen hat.

Dienstag, 24. August 2010

Guys on a Mission: THE EXPENDABLES


The Expendables


Mit dem Kino verhält es sich ähnlich wie mit der Mode: früher oder später kommt alles zurück. Jede alte Masche wird ausgegraben, jeder Stil neu aufgelegt, dabei freilich den Koordinaten zeitgenössischer Befindlichkeit angepasst. Die Sechziger und Siebziger erlebten ihr Revival mit mehr oder weniger gelungenen Remakes von ehemaligen Blockbustern wie Ocean’s Eleven (1960/2001), The Italian Job (1969/2003), The Longest Yard (1974/2005). Jetzt sind offenbar die Achtziger dran. Ganz oben auf der Retro-Welle schwimmt Sylvester Stallone, der mit Rocky Balboa (2006) und John Rambo (2009) kürzlich seine erfolgreichsten Filmserien recycelt hat.

Sonntag, 15. August 2010

Der Müll, die Stadt und der Tod: Dino Risis ANIMA PERSA


Anima Persa / Âmes perdues (Lost Souls) – F-I 1977 – Regie: Dino Risi – Buch: Dino Risi, Bernardino Zapponi, nach einem Roman von Giovanni Arpino – Kamera: Tonino Delli Colli – Musik: Francis Lai – Schnitt: Alberto Gallitti – Produzenten: Pio Angeletti, Adriano De Micheli – Darsteller/innen: Danilo Mattei (Tino), Vittorio Gassman (Fabio Stolz), Catherine Deneuve (Sofia Stolz), Anicée Alvina (Lucia), Michele Capnist (Il Duca), Ester Carloni (Annetta) u.a. – Studio: Dean Film, Les Productions Fox Europa – Format: VistaVision (1,96:1), 35 mm – Länge: 100 min. – Erstaufführung: 20.01.1977 (Italien).


Venedig trägt, wie so oft im Kino, Trauer. Pittoresk modern die Gebäude, das Wasser der Lagune schimmert trübe, Müll treibt obenauf. „Wie schmutzig unsere Stadt geworden ist!“, klagt einer der Protagonisten in Dino Risis Anima Persa (Lost Soul; 1977). Und, ja, die Stadt ist schmutzig, und sie birgt obendrein allerlei dunkle Geheimnisse ihrer Bewohner. Venedig als Gemütszustand, als trist-morbider Sumpf, der wahlweise Kinder oder deren Eltern in den Tod reißt: So hat bereits Nicolas Roeg Venedig in seinem Meisterwerk Don’t Look Now (Wenn die Gondeln Trauer tragen; 1973) eingesetzt, einem britisch-italienischen Thriller mit Giallo-Motiven. Vor ihm hatte unter anderem Aldo Lado hier seine exquisit fotografierte Mörderhatz Chi l’ha vista morire? (The Child - Die Stadt wird zum Alptraum; 1972) gedreht, von der sich Roeg ganz offensichtlich inspirieren ließ. Auch Viscontis Morte a Venezia (Tod in Venedig; 1971) zelebrierte den dekadenten Verfall, das Siechtum aufs Raffinierteste ästhetisiert und bis zum Exzess überhöht. Selbst ein Amerikaner wie Paul Schrader, ein Calvinist zudem, sollte zwei Dekaden später in The Comfort of Strangers (Der Trost von Fremden; 1990) Venedig auf diese Weise inszenieren, auch wenn er den Piazze wenigstens einen Hauch Strahlkraft zugesteht. Mörderisch war das Treiben der Venezianer auch bei ihm freilich, sein Film zudem fast epigonal auf Roegs stilprägenden Thriller bezogen.

Im Gegensatz zu all diesen Regisseuren, Europäern wie Amerikanern, ist Dino Risi (1916-2008)
vor allem als Komödienregisseur bekannt. Von ihm stammen Filme wie Una vita difficile (1961), Il sorpasso (Verliebt in scharfe Kurven; 1962) und I mostri (1963) sowie Profuma di donna (Der Duft der Frauen; 1974), Kassenschlager allesamt zu ihrer Zeit. Dass er sich in den späten 1970ern, also zur gleichen Zeit, als Dario Argento sein blutiges Technicolor-Meisterwerk Suspiria (1977) inszenierte, an einem Horrorfilm versucht, erscheint nur auf dem ersten Blick ungewöhnlich. Letztlich erzählen auch die italienischen Komödien immer von Mord und Totschlag, Krankheit, Verfall und Elend, Krieg und Katastrophen. Der Humor der Commedia all’italiana war immer nachtschwarz. Ein wenig hiervon hat Risi auch in seinen boshaften, antibourgeoisen Horrorfilm hinüber gerettet, der Luis Buñuel und den Surrealisten in vieler Beziehung näher steht, als den Filmen von Mario Bava, Dario Argento oder Lucio Fulci.

Anima Persa beginnt mit morbiden Stadtimpressionen Venedigs, aus einer motorisierten Gondel aufgenommen. Die Kamera führt Tonino Delli Colli, einer der bedeutendsten Kameramänner Italiens (1922-2005), der zwischen 1944 und 1997 mehr als 130 Filme fotografiert hat, darunter Klassiker wie Leones Il Buono, il Brutto, il Cattivo (Zwei glorreiche Halunken; 1966) und Once Upon a Time in America (Es war einmal in Amerika; 1984), experimentelle Genrefilme wie Elio Petris Un Tranquillo posto in campagna (Das verfluchte Haus; 1968) und Kunstfilme von Fellini und Pasolini. Delli Collis Kamera zeigt uns die Rückkehr eines verlorenen Sohns Venedigs, des noch jugendlich wirkenden Tinos (Danilo Mattei), der nach Jahren zu Tante und Onkel zurückkehrt, um in der Lagunenstadt die Malerei zu erlernen. Ungläubig starrt Tino die Stadt an, die Villen der Reichen, ihre Palazzi, die korrodierten Oberflächen, die barocken, vom sauren Regen zerfressenen Verzierungen. Wer hier wohne, fragt er den Gondoliere. „I genti“, entgegnet dieser. Die aber blieben nur in ihren Häusern, ergänzt er. Und tatsächlich, die Häuser, die an der schwankenden Kamera vorbeiziehen, wirken ein wenig wie modernde Särge – Venezia, città dei morti viventi.


Diesem dem Tod geweihten Großbürgertum gehört offensichtlich Tinos Tante Sofia (ätherisch: Catherine Deneuve) an. Auch sie verlässt so gut wie nie das Haus, und hält es in ihrer Wohnung doch kaum länger als ein paar Minuten in einem Raum aus. Wie getrieben eilt sie bei Tinos Ankunft durch die weitläufige Villa, lockt ihren Neffen hinter sich her, durch immer neue Räume, einer grotesker und größer als der andere, bis ins eheliche Schlafzimmer. Ein unausgesprochenes Angebot steht im Raum, zumal ihr Mann außer Hause weilt. Oder kokettiert die junge Ehefrau nur ein wenig mit ihrer Ausstrahlung auf einen noch jüngeren Mann? Vieles erscheint merkwürdig in diesem Haushalt. Auch die Haushälterin (Ester Carloni), die wir am ersten Abend kennenlernen, ist ein Faktotum, eine komische Alte mit kieksiger Stimme, die einem derben Bauernschwank entsprungen sein könnte. Nur wenig erfahren wir hingegen über Tinos Onkel. Er trägt den für einen Italiener recht ungewöhnlichen Namen Stolz. Der Signore mit dem deutschen Namen – angeblich stammt er von den Habsburgern ab – arbeitet bei den Gaswerken, auch das ein böser Scherz. Bei der Tour durch das nur teilrestaurierte Haus („Look at the decay!“) erfährt Tino zudem von einer Treppe zu einer verbotenen Kammer. Und nachts spielen die Ratten auf dem Klavier, wenn sie über die Tasten rennen. Über dem Zimmer des Jungen erklingen seltsame Geräusche. Dass dies nur das Holz sein soll, das in dem alten Palazzo arbeitet, will der Junge der Tante nicht glauben. Zu Recht.


Ist die Tante mit ihren nervösen Tics und dem Sauberkeitsfimmel schon zwanghaft, da erweist sich Onkel Fabio (Vittorio Gassman) als gänzlich neurotisch. Bereits am Bett predigt er seinem Neffen Platon und die Vorzüge militärischer Disziplin. Später zitiert er Hölderlins Das Angenehme dieser Welt: „Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gern!“ Ob das nicht schön klänge, auf Deutsch?, fragt er den Neffen. Obendrein schwärmt Fabio von den pittoresken Morden, die Venedig in den letzten Jahrzehnten zu bieten hatte. Beim Stadtbummel reißt er dann einen Hippie an dessen langen Haaren. Wer bis jetzt noch nicht verstanden hat, dass der Mann ein autoritärer Charakter ist, wird es wohl nie bemerken. Tino jedoch scheint dies kaum zu berühren, er richtet sich in dem seltsamen Umfeld provisorisch ein, neugierig, aber auch ein wenig distanziert, fast so, als ob er auf einem fremden Kontinent einen noch unbekannten Stamm erforscht.


Tinos eigentliches Studienobjekt aber ist der weibliche Körper, das macht der Film schnell deutlich. Neben seiner Tante lernt Tino gleich am ersten Tag in der Kunstklasse das studentische Aktmodell Lucia (Anicée Alvina) kennen, und natürlich verguckt er sich sogleich in sie. Auch steht das Haus, also der Ort, auf den Tino neben den beiden Frauen den Großteil seiner Neugierde aufbringt, im Horrorfilm per se für den weiblichen Körper, zumindest in der psychoanalytischen Lesart des Genres. Beides kommt schließlich zusammen, wenn Tino in Abwesenheit seiner Ersatzeltern zusammen mit Lucia lustvoll das geheimnisvolle Haus erforscht, inklusive einer Commedia dell’arte-Einlage auf der hauseigenen Theaterbühne, auf der beide gemeinsam einen Lazzo aufführen. Danach stürzen sie in Slapstickmanier aus dem Raum, in einen offenbar seit langem unberührten Kinderraum, voller Puppen und Kleider. Dort werden sie dann von der Verwandtschaft in flagranti ertappt. Dabei wirkt das Geschehen zusehends, als würden Onkel und Tante alles für den Neffen inszenieren; erst das Haus verlassen, um ihn dann zu ertappen und so ein Art perverser Familienaufstellung einzurichten. Fabio könnte dabei direkt Buñuels El (1953; Er) entsprungen sein und Sofia, nicht nur durch die Besetzung mit der Deneuve, Belle de Jour (1967). Am Ende überbietet Risi allerdings selbst Buñuels bürgerliche Perversionen und deckt ein dunkles Familiengeheimnis auf; Inzest, Päderastie und Schizophrenie. Danach verlässt Tino Venedig wieder auf dem gleichen Weg, auf dem er es erreicht hat, immer noch unberührt, kaum verändert, höchstens etwas älter.



Abgesehen von dem ungewöhnlichen Plot, seiner traumartigen Atmosphäre und der dezidiert unrealistischen Auflösung ist Anima Persa vor allem ein visuell beeindruckender Film, der anfangs subtil, dann immer unnachgiebiger die Grenzen einer rein rationalen Erzählung aufgibt. Delli Collis Kamera erforscht das Haus mittels eleganter Fahrten und Schwenks, die Lichtsetzung evoziert das Chiaroscuro Caravaggios. Einige Bilder und Sequenzen sind unvergesslich: Etwa wenn Onkel und Neffe auf das Meer hinaus fahren, an einem riesigen, verfallenden Öltanker vorbei, der wie ein urzeitlicher gestrandeter Wal wirkt. Die barocke Einrichtung einzelner Räume sowie das labyrinthische Haus sind höchst einprägsam; in einer Bar scheinen die Gäste wie zu Salzsäulen versteinert; einmal starrt die Kamera wie eine Spinne aus einer Ecke von der Decke herab auf die im Wohnzimmer versammelte dysfunktionale Familie. Abgesehen von solchen Sequenzen gelingt es Risi, vom schwermütig-surrealen Anfang bis zum boshaft-ironischen Ende, den eigentlich recht einfachen Plot mit einer Unzahl von Schlenkern, falschen Fährten und Abweichungen zu erzählen und damit jede Erwartung zu unterlaufen. Letztlich erweist sich Anima Persa nicht als Horrorfilm, sondern als anspielungsreicher dunkel-ironischer Bildungsroman sowie als Parodie aufs Genre, die gänzlich ohne Morde und übernatürliche Elemente auskommt. Neben den genannten Werken Viscontis, Lados und Roegs ist Risis Film obendrein einer der schönsten (das heißt: hässlichsten) Venedig-Filme der Filmgeschichte. Sehr zu unrecht ist er heute weitgehend vergessen, trotz seiner starken Besetzung mit Vittorio Gassman und Catherine Deneuve, trotz der Beteiligung von Delli Colli und Risi, trotz seiner Qualität. In Deutschland hat der durchaus seriöse Film den unfassbar peinlichen Verleihtitel Ejakulat des Grauens erhalten. Der Verleiher muss besoffen gewesen sein. Auch das hat der Film nicht verdient.



Donnerstag, 13. Mai 2010

Aktuelle Filmkritiken – Melos und RomComs, Actionspektakel und europäisches Arthouse-Kino



Da ich in letzter Zeit recht viel um die Ohren hatte, bin ich leider kaum dazu gekommen, neue Texte für den Blog zu schreiben. Daher nun ersatzweise eine kommentierte Sammlung von Links zu Texten, die ich in letzter Zeit für den Bayerischen Rundfunk bzw. für die Online-Ausgabe von „Kino Kino“ geschrieben habe, das dienstälteste Kinomagazin des deutschen Fernsehen.

Diese Reviews sind tagesaktuelle Kritiken und die Filme rangieren dementsprechend von Werken, die ich mir sonst nie angesehen hätte – bodenloser Mist eingeschlossen ebenso wie echte Überraschungen –, über die übliche Mainstreamunterhaltung bis hin zu echten Perlen – wie das eben so ist, wenn der Zufall, respektive der Terminkalender und/oder der zuständige Redakteur einem die Filme zuteilt.

Beginnen wir mit den Fehlgriffen und Flops. Zu dieser Kategorie zählen definitiv die meisten der Romantic Comedies, oder Neudeutsch: „RomComs“, die ich mir angesehen habe – sowieso ein Genre mit einem Überschuss an retortenhaft angefertigten, lieblosen 08/15-Produktionen. Ein exzeptionell missratenes Beispiel, aktuell noch in den Kinos, ist etwa die Sandra-Bullock-Komödie All About Steve (Verrückt nach Steve; 2009; Phil Traill), die sich nicht entblödet im Originaltitel auf Joseph L. Mankiewicz’ selbstreflexiven Klassiker All About Eve (Alles über Eva, 1950) zu rekurrieren. Der deutsche Verleih stapelt dagegen etwas tiefer und versucht, an Verrückt nach Mary (There’s Something About Mary; 1998; Bobby & Peter Farrelly) anzuschließen, was angesichts der geschmacklosen Behindertenwitze von All About Steve nicht verwundert. Doch bei den Farrelly-Brüdern war das wenigstens mit Tempo und skurrilem Humor inszeniert. Hier ist es nur eine Qual für den Zuschauer. Ausführliche Besprechung auf BR-Online:


Ein ähnlicher Fall ist The Bounty Hunter (Der Kautions-Coup; 2010; Andy Tennant), der den Dauer-Macho Gerard Butler als Kopfgeldjäger mit Jennifer Aniston als Oberzicke zusammenbringt (letztere kann im Gegensatz zum Minimal-Actor Butler wenigstens durchaus witzig sein). Das ist ziemlich lustlos runtergekurbelte Routine, bietet aber immerhin ein paar gute Lacher, die sich allerdings an einer Hand abzählen lassen:


Keine RomCom, aber fast genauso nervtötend und langweilig, ist Kevin Smiths Versuch, eine Buddy-Komödie zu drehen und damit einen Mainstream-Erfolg zu landen: Cop-Out (2010) bestätigt meine Vermutung, dass Smith seit seinem wunderbaren Independent-Debüt Clerks (1994) mit jedem Film konstant schlechter wird (die einzige Ausnahme: der amüsante Chasing Amy von 1997). Lediglich Seann William Scott als alle Welt enervierender Dieb bringt etwas abstrusen Humor in das zotige Flickwerk:

Eine letzte Komödie, die ich besprochen habe, ist noch gar nicht angelaufen: Tandoori Love (2008; Oliver Paulus), ein deutschsprachiger Versuch, Bollywood-Film, RomCom und schweizerischen Heimatfilm zu kreuzen. Ob das funktioniert, kann jeder hier nachlesen:

Wer nun den Eindruck bekommt, ich würde nur Komödien verreißen, der kann sich gerne meine Review von Black Forest (2009; Gert Steinheimer) durchlesen, einem deutschen Horrorfilm (ja, tatsächlich!), der sich u.a. an Sam Raimis großartiger „Splatstick“-Groteske The Evil Dead (Tanz der Teufel; 1982) orientiert und nach gelungenem Anfang leider auf ganzer Linie scheitert. Einen besonderen Trash-Charme kann man dem lieblos hingeschluderten B-Filmchen allerdings nicht absprechen. Besonders die miesen Dialoge sorgen mehrfach für Erheiterung (persönliches Highlight: „Krass, `ne Bretterwand!“ – „Die hat jemand zugebrettert!“). Mitunter verpassen die Akteure auch mal ihren Einsatz und kommen mit den Zeilen durcheinander. Egal, Grimme-Preisträger Gert Steinheimer lässt derartige Sternstunden des deutschen Schauspiels einfach im Film. Review wie gehabt auf BR-Online:

Neben solchen Totalausfällen bietet der aktuelle Film natürlich auch die übliche Durchschnittsware des Mainstream-Actionkinos. Die Luc-Besson-Produktion From Paris With Love (2010) von Pierre Morel (Taken / 96 Hours; 2009) ist z.B. weiß Gott kein Highlight des Kinojahres, aber unterhält immerhin mit unverfrorener Dreistigkeit und lauter Action. Die weiße Überheblichkeit, die John Travoltas Figur (mit Glatze und Henriquatre-Bart äußerst albern zurechtgemacht) beständig auslebt, fällt wie der aggressive Sexismus des Films allerdings negativ ins Gewicht (unter Bessons Regisseuren bestätigt Morel damit nach dem tendenziösen Taken seinen Status als politisch eher rechts stehender Konfektionär):

Ein weiteres, eher comichaftes Spektakel ist die gerade angelaufene Iron Man-Fortsetzung von Fanboy Jon Favreau. Diese ist freilich auf wesentlich höherem Niveau angesiedelt als From Paris With Love und bietet durch die Bank bessere Schauspieler, Ausstattung und Action. Auffällig ist allerdings, dass mit Iron Man 2 ein weiteres aktuelles Produkt der Populärkultur auf eine Kalter-Krieg-Ikonografie zurückgreift und uns mit dem baddie „Whiplash“ (Mickey Rourke) eine Art Angstfantasie des kinderfressenden Russen präsentiert. Da der Film auch in der ehemaligen Sowjetunion sein Geld einspielen soll, übernimmt Scarlett Johansson die Rolle als attraktive und „gute“ russische Spionin, gewissermaßen das Antidot zur fiesen Russenkarikatur, und alles verbleibt in einer gewisse Mehrdeutigkeit. Abgesehen davon ist das Casting von Rourke jedoch auch der amüsanteste Besetzungscoup des Actionspektakels; haben doch mit Rourke und Robert Downey Jr. zwei ehemalige 1980er-Jahre-Stars erst kürzlich fulminante Comebacks hingelegt – der eine als Kassenmagnet in Blockbustern wie Iron Man (2008) und Sherlock Holmes (2009; Guy Ritchie), der andere in dem Arthausdrama The Wrestler (2008; Darren Aronofsky). Dankbarerweise ist der Film dann auch nicht in 3D gedreht, sondern, ganz altmodisch, normal „flach“. Wie bei vielen Fortsetzungen von Comic-Verfilmungen bzw. Superhelden-Filmen fällt Iron Man 2 hinter seinem Vorgänger zurück. Einen vergnüglichen Abend im Kino kann man sich mit dem Film aber durchaus machen:

Im weitesten Sinn ebenfalls der Fantasy zugehörig, ist Susanna Whites Kinderfilm Nanny McPhee and the Big Bang (Eine zauberhafte Nanny – Knall auf Fall in ein neues Abenteuer; 2010), der mir überraschend gut gefallen hat:

Die besten Filme der letzten Wochen fallen jedoch im weitesten Sinn ins (melo)dramatische Fach. Etwa Özcan Alpers einfühlsames – und durchaus politisch zu verstehendes – Spielfilmdebüt Sonbahar (Herbst / Autumn; 2008); eine türkisch-deutsche Koproduktion, die heute (13. Mai) mit vermutlich nur wenigen Kopien anläuft:

Wie ähnlich europäische Arthaus-Filme Zeit, Subjektivität, Landschaftsaufnahmen, Musik und eine bisweilen a-lineare Erzählweise für ihre Dramaturgie einsetzen, zeigt der Vergleich von Sonbahar mit Urszula Antoniaks meditativem Drama Nothing Personal (2009). Letzterer ist schon seit etwa vier Wochen in den deutschen Kinos zu sehen und ein definitiver Filmtipp!

Und zuletzt noch ein Grenzgänger zwischen den Genres, changierend zwischen Roadmovie, Gangsterfilm, Lovers-on-the-Run-Melo und Ethno-„Weltkino“: Cary Fukunagas Spielfilmdebüt Sin Nombre (2009), der wie lange schon kein US-amerikanischer Film mehr einen genauen Blick über die Landesgrenzen wagt – jenseits simpler Erklärungen und Stereotypisierungen, mit viel Zuneigung und Zärtlichkeit für seine Protagonisten:
alternativ auch auf der Seite der ARD:


Natürlich gab es in den letzten Wochen eine ganze Reihe weiterer, ebenfalls sehenswerter Neustarts. Stellvertretend sei hier nur einer angeführt, mein bisheriger Kandidat für den besten Film des laufenden Kinojahrs: Jacques Audiards meisterliches, episches Gangsterdrama Un Prophète (Ein Prophet; 2009). Trotz vielschichtiger filmhistorischer Bezüge auf klassische Gangsterfilme wie Scarface (1932; Howard Hawks) bis hin zu Francis Ford Coppolas The Godfather: Part II (Der Pate II; 1974) und Querverweisen auf Bert Brecht (Denn der Haifisch, der hat Zähne ...) gelingt Audiard ein wirklich originelles, eigenständiges Werk, das seinen Platz in der Filmgeschichte finden wird. Wie so oft scheint auch dieser Film nur mit nur sehr wenigen Kopien bundesweit zu laufen. Also, wer die Möglichkeit hat: Unbedingt ansehen!


Dienstag, 16. März 2010

Aktuelle Reviews: CASE 39 und DeUSYNLIGE



Zwei weitere aktuelle Filmkritiken von mir finden sich auf der Online-Seite von „Kino Kino“, dem Filmmagazin des Bayerischen Rundfunks. Zum einen meine Review von Christian Alvarts enttäuschendem Hollywood-Debüt Case 39 (Fall 39; 2009), den ich bereits in der Splatting Image ausführlich besprochen hatte. Das norwegische Drama DeUsynlige (Troubled Water; 2010) von Erik Poppe überrascht dagegen mit einer elaborierten Erzählstruktur und bietet trotz seines emotionalen Themas und der etwas überdeutlichen religiösen Metaphorik ein eher ruhiges Drama.

Mehr auf der Seite des BR:


Case 39 / Fall 39

DeUsynlige / Troubled Water