Donnerstag, 23. Oktober 2008

Bitteres Lachen: Mario Monicellis LA GRANDE GUERRA (europäische Komödie II.)

LA GRADE GUERRA
(MAN NANNTE ES DEN GROSSEN KRIEG)
Mario Monicelli
I-F 1959
DVD, Scope, OmU, s/w
****1/2


Mario Monicelli zählt zu den Meistern der Commedia all’italiana, der Filmkomödie Italiens, die insbesondere in den 50er und 60er Jahren beim Publikum äußerst erfolgreich war. In vieler Beziehung weicht die italienische Komödie von anderen nationalspezifischen Varianten Europas ab. Stärker an die Wurzeln des europäischen Stegreiftheaters zurückgehend, ist sie oft vulgär und proletarisch, ihre Protagonisten amoralisch und stereotypisiert, die Hauptfiguren bestenfalls Anti-Helden. Der schwarze Humor und die absurde Spiegelung der Realität ist ihre Domäne. Monicelli hat in einem Interview einmal seine historischen Komödien wie folgt charakterisiert: „All Italian comedy is dramatic. The situation is always dramatic, often tragic, but it's treated in a humorous way. But people die in it, there's no happy ending. That's just what people like about it. It deals with death, hunger, poverty, illness“. Der spezifisch „italienische“ Humor dieser Filme gründet dabei in der Vermischung von Komik, Melodramatik, Politik und Horror; alles vom riso amaro, dem bitteren Lachen, geeint. Das Italien-Lexikon beschreibt die von dem Autorenteam Age & Scarpelli geschriebenen Komödien, die auch die Koautoren von LA GRADE GUERRA sind, entsprechend als "oft noch hoffnungsloser als die neorealistischen Filme […] Die Personen werden meist von der Geschichte gebeutelt und haben unwiderruflich jedes bürgerliche Ideal verloren […]. Die Komödie auf italienisch setzt den Mißerfolg, das Lächerliche und Formen des Elends in Szene". Der Semiotiker Jurij M. Lotman hat an Pietro Germis Komödien die italienische Tradition dieser Filme herausgestrichen, deren Zynismus nicht selten ausländische Zuschauer schockierte:

"Hier sollte man sich an die Sprache des Puppentheaters und der commedia dell'arte erinnern, in denen der Tod eine komische Episode, der Mord eine Buffonade und das Leiden eine Parodie sein kann. Die Härte des italienischen [...] Volkstheaters steht in unmittelbarer Beziehung zu seiner Konventionalität. Der Zuschauer ist sich dessen bewußt, daß auf der Bühne Puppen oder Masken agieren, und empfindet ihren Tod oder ihre Leiden [...] im Sinne einer rituellen Maskerade. [...] [Doch] die plebejisch grobe, marktschreierische Sprache [...] [dieser] Filme birgt nicht weniger Möglichkeiten sozialer Kritik als der [...] Stil der Individualisierung des Schauspielers und der Humanisierung der Bühne."

Mit ihrer Mischung aus Komik und Tragik wäre die italienische Komödie gewiss aus Platons Ideal-Staat ausgewiesen worden, für den der Philosoph doch die Reinheit der Kunst vorsah – wenn die italienische Komödie eines ist, dann von erfrischender Unreinheit.


„Ho lasciato la mamma mia / l’ho lasciata per fare il soldà“ – „Ich habe meine liebe Mama verlassen / ich verließ sie, um Soldat zu werden“. LA GRADE GUERRA eröffnet mit dieser melancholischen Soldatenweise Nino Rotas, doch schon die Bilder stellen sich dazu in boshaften Kontrast: Stiefel stapfen durch Schlamm, der Titel „der große Krieg“, gemeint ist der Erste Weltkrieg, erscheint zum Blick in eine graue Eintopfsuppe, eine dreckige Hand schneidet einen Laib Weißbrot, eine Feldflasche wird aufgefüllt, Zigaretten gerollt, Postkarten beschriftet, ein Knopf angenäht, dann abermals Stiefel, die bandagiert werden, um sogleich wieder durch den Schlamm zu marschieren. Eintönigkeit, Entindividualisierung, Langeweile. Einmal heißt es in diesem Film, der Krieg würde vor allem aus Warten bestehen; dem Warten in durchnässter Kleidung auf die Essensration, die sowieso nie kommt; auf die Heimat, die man unfreiwillig verlassen hat; auf das Kriegsende, das man sowieso nicht erleben wird. Heldentum werden wir in diesem Film nicht zu sehen bekommen. Und wenn die Protagonisten einmal – wohlgemerkt: aus Trotz und Unwissenheit – ein militärisches Geheimnis bewahren, so müssen sie es bitter bezahlen.


Die von Alberto Sordi und Vittorio Gassman gespielten „Helden“, ein Römer und ein Mailänder, sind vor allem fessi, Idioten, aber ihr Drückebergertum erscheint in jedem Fall vernünftiger als falscher Heroismus. Und es sind gerade ihre Kleinlichkeiten und unnützen Streitereien, die sie menschlich und uns sympathisch machen. Umso grausamer wirkt es, wenn Monicelli sie kurz vor dem Ende des Films nonchalant nacheinander in distanzierenden Totalen von den Österreichern füsilieren lässt. Der Epilog ist dann vielleicht wirklich zynisch: Ein ehemaliger Vorgesetzter sieht inmitten des Schlachtens die Leichen der beiden: „Sogar diesmal kommen diese Faulenzer einfach davon!“, so sein Kommentar. Die Kamera steigt in die Höhe, die Soldatenmassen rennen weiter in den Tod. Fine. Der Effekt ist niederschmetternd und auch dies unterscheidet Monicellis Filme zusammen mit einigen anderen italienischen Komödien so stark von deutschen und amerikanischen Vertretern des Genres: Außer den Italienern hat niemand die Frechheit (bzw. den Mut), seine Komödie damit zu enden zu lassen, dass der Hauptprotagonist mit einem Mord durchkommt (wie in DIVORZIO ALL’ITALIANA / SCHEIDUNG AUF ITALIENISCH, 1961), totgeprügelt wird (wie in Wertmüllers FILM D’AMORE E D’ANARCHIA… / LIEBE UND ANARCHIE, 1973), oder eben wie hier standrechtlich erschossen wird.

Auch formal ist Monicellis aufwändig produziertes Werk durchaus beeindruckend: Das Scope-Format wird oft bis ganz an den äußersten Rand ausgenutzt, die Schwarzweiß-Fotografie ist kontrastreich und immer wieder finden sich flüssige oder gänzlich statische Plansequenzen (etwa die nach ca. einer Stunde im Film in der Notunterkunft). Die Massenchoreografie ist so effektiv wie der Humor boshaft und gegen jede Organisation gerichtet ist: Ein junger Soldat stirbt, weil er ein versiegeltes, also vermeintlich wichtiges Schreiben durch die feindlichen Linien trägt – tatsächlich sind es nur Weihnachtsgrüße der Offiziere untereinander. Ein anderer übernimmt für wenige Lire jede Selbstmordmission, um Geld für Frau und Kind zu sammeln. Er stirbt schließlich bei einem „normalen“ Einsatz; also umsonst. Wieder ein anderer schwingt große Reden darüber, dass Arbeiter wie er an der Heimatfront gebraucht werden würden – es stellt sich raus, dass er im Zivilleben Friseur ist. Und grundsätzlich ist hier jeder, der sich in Monicellis absurd und zugleich oft realistisch gezeichneter Kriegswelt an die Regeln hält, der wahre Idiot. Mittendrin dann ein ausgesprochen poetischer Moment: Eine junge Hure hat keine Lust mehr, von den Soldaten wie Dreck behandelt zu werden und schmeißt ihren Beruf hin. Ein Soldat bekommt dies mit und macht ihr daraufhin den Hof, ganz so, als ob sie eine echte Dame wäre. Beide spielen das Spiel bis zu Ende und doch ist beiden klar, dass sie dem jeweils Anderen eine Rolle vorspielen – und dass der das auch weiß. Nach der gemeinsamen Nacht stiehlt sie ihm trotzdem das Portemonnaie. Später im Film treffen sie sich dann wieder. Sie hält ihn mit einer Handgranate (!) in Schach, gibt ihm aber schließlich seine Brieftasche wieder, da er darin ein Kinderbild aufbewahrt. Sie nimmt an, es müsse das seines Sohns sein. Er: Das bin ich als Kind. Sie: Welcher Idiot läuft mit seinem eigenen Kinderbild herum? Fesso!

LA GRANDE GUERRA und Monicellis L'ARMATA BRANCALEONE (1966) nahmen in vieler Beziehung Trends vorweg; den absurden Humor in Richard Lesters MUSKETEERS-Filmen (1973/74) und ROYAL FLASH (1975) ebenso wie Leones ahistorischen Behandlung des US-amerikanischen Bürgerkrieges und der Mexikanischen Revolution in IL BUONO, IL BRUTTO, IL CATTIVO (1966) und GIÙ LA TESTA (1971), natürlich auch Monty Pythons Genreparodien in den 70ern.


2 Kommentare:

Yman hat gesagt…

Es ist Schwer für mich zu Kommentieren weil ich den Film nicht gesehen habe aber es ist auf jeden Fall noch ein Grund für ein Anmeldung bei Videodrom. Glaubt Themroc dass ein remake möglich ist, villeicht nach der Verfilmung von "Inglorious Bastards", ein Rückkehr zu menschliche Anti-Helden Kriegs Figuren, insbesondere im Umstand des Irak Kriegs? Und konnte Mann Altmans "Catch 22" und "MASH" in deine Endliste zahlen?

Und villeich ein Empfehlung für die Zukunft: nicht so viel "Akademishe" Infos am Anfang oder ein "Entry" mit dem hintergrungskonzept.

Macht weiter Themroc! Es gibt Leser!

themroc hat gesagt…

Hi Yman,
as you are writing in German I'm going to write in English - this way we're gonna be even. First of all: thanks for your comment (everybody else seems to be too shy to write something - or maybe nobody knows the films?). Sadly, I don't think that a membership at Videodrome would help you to get a chance to see this film because there are just French and Italian DVDs on the market without German or English subtitles, so I don't think you can rent them at the Videodrome. BUT I'm going to send you a DVD soon (perhaps together with the even better I SOLITI IGNOTI). Concerning the academic passages in my writing, I guess you're right. Maybe I should turn this down a little bit. We'll see. Take care!
themroc